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Mit deutsch- und volkstümelndem sowie rechtsextremem und faschistischem Gedankengut habe ich nichts am Hut und nichts zu tun!

Mittwoch, 20. Januar 2016

Das geplante Staatsversagen

Weshalb sie es nicht schaffen: Die Politik hat den Staat systematisch seiner Möglichkeiten beraubt, soziale Aufgaben und die aktuelle Fluchtbewegung zu bewältigen

Die anhaltend hohe Zahl von Flüchtlingen, die in die Bundesrepublik Deutschland kommen, stellt das Land anscheinend nicht nur vor eine Bewährungs-, sondern vor eine Zerreißprobe. Diesen Eindruck erweckt nicht nur die politische Diskussion um Obergrenzen und ähnliches. Dazu trägt nicht minder die tatsächliche Lage der Flüchtlinge und wie sie untergebracht und versorgt werden bei. Auch der zunehmende Frust und Hass vom rechten Rand und aus der Mitte der Gesellschaft, der an ihnen verbal und gewalttätig ausgelassen wird, sorgt dafür. Die herrschende und regierende Politik, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, wird für die großen Probleme verantwortlich gemacht. Sogar Regierungsmitglieder und führende Parteifunktionäre widersprechen inzwischen zunehmend der Kanzlerin, die behauptet hatte: Wir schaffen das.
Das alles passiert in einem der reichsten Länder dieser Welt. Das ereignet sich in einem Staat, der gern mit seiner wirtschaftlichen Potenz protzt. Genau diese Potenz bietet eigentlich die Grundlage für Merkels Optimismus. Der ist von der Sache her eben begründet. Doch die deutsche Leistungsfähigkeit und das dazugehörige Organisationstalent können nicht genutzt werden, um anderen wie eben den Flüchtlingen zu helfen. Und genau dafür ist die herrschende und regierende Politik verantwortlich. Sie hat die entsprechenden Möglichkeiten und Ressourcen des Staates seit mehr als 20 Jahren systematisch kaputtgespart. Vor den Folgen wurde immer wieder gewarnt, so unter anderem 2007 von der „Initiative Öffentliche Dienste“ mit der Kampagne „Genug gespart!“.
Der fortgesetzte Abriss des Sozialstaates ebenso wie der Raubbau am öffentlichen Dienst als Dienstleistung für die Bürger haben die Grundlagen für das aktuelle Staatsversagen gelegt. Das gilt sogar für die Polizei und ihre Fähigkeit, die Kriminalität unter Kontrolle zu halten.
Der Staat wurde seiner Fähigkeiten beraubt, einer großen Zahl von Menschen auch kurzfristig und vernünftig helfen zu können. So dass heute ohne die vielen Ehrenamtlichen den Hundertausenden, die in die Bundesrepublik geflüchtet sind und weiter flüchten, gar nicht geholfen werden könnte, nicht mal notdürftig. Zugleich ist das eine der Grundlagen für die nicht nur verbalen Ausfälle vielerorts gegen Flüchtlinge. Da reagieren sich jene ab, denen seit mehr als 20 Jahren von der regierenden Politik hierzulande erklärt wird, dass an allem und besonders an den Leistungen für die Bürger gespart werden muss. Den Frust und die Wut bekommen die ab, die nicht verantwortlich sind für den Abbau der sozialen Infrastruktur, für schlechtbezahlte Jobs, Langzeitarbeitslosigkeit und einen Hartz IV-Regelsatz unter dem Existenzminimum, für gestrichene Sozialleistungen und steigende Kosten für Gesundheit, Bildung, Kultur usw. Für die gewalttätige Dummheit derjenigen, die die Flüchtlinge als Sündenböcke für ihre und andere Probleme sehen, trägt auch das kaputtgesparte Bildungssystem Mitschuld.
Die Flüchtlinge sind genauso wenig dafür verantwortlich, dass zugleich der Reichtum auch hierzulande zunimmt, die Gewinne der Unternehmen steigen und Banken mit Milliarden Euro „gerettet“ werden. Es ist die Politik, die das vorhandene Geld weiter von unten nach oben verteilt, mit allen Mitteln. Das geschieht eben auch durch den Abbau der staatlichen Infrastruktur, die eigentlich den Bürgern zugute kommen soll. Das reicht vom Stellenabbau im öffentlichen Dienst und seinen zahlreichen Bereichen bis hin zum als „Verwaltungsreform“ getarnten Abbau von Verwaltungsstrukturen. Die sollen angeblich so effizienter werden, was aber nur das Gegenteil bewirkt und dafür sorgt, dass die öffentliche Verwaltung für die Bürger immer schlechter erreichbar ist. Und für alles wird die Privatisierung als Allheilmittel gepriesen, auch von jenen Politikern, die den Sozial- und Staatsabbau vorantreiben. So wird seit Jahren das Versagen des Staates organisiert. Es zeigt sich aktuell nur besonders deutlich bei dem Versuch, die hohe Zahl der Flüchtlinge aufzunehmen, zu versorgen und unterzubringen.
Deshalb ist Merkels Optimismus eben doch unberechtigt. Auch weil sie für dieses Staatsversagen mit verantwortlich ist, samt jener aus ihrer und anderen Parteien, die sie nun offen oder verdeckt kritisieren und ins Visier nehmen. Was seit Jahren zerstört wurde, kann nicht innerhalb kurzer Zeit wieder aufgebaut werden. Das gilt auch für das Vertrauen der Bürger.
Notwendig wäre eine andere Politik:
- die Nein sagt zur fortschreitenden Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche samt Privatisierung,
- die die Kapitulation der Politik vor dem Finanzkapital widerruft,
- die den Staat nicht weiter im Interesse einer kleinen, wenn auch mächtigen gesellschaftlichen Gruppe abbaut,
- die sich wieder um die Interessen aller hier lebenden Menschen kümmert, ob mit oder ohne deutschem Pass und
- die zugleich Ursachen von Kriegen und Flucht weltweit entgegenwirkt anstatt diese zu befördern unter dem verlogenen Motto noch mehr deutsche Verantwortung in der Welt, die real mehr Militär ins Ausland statt aktivere Friedenspolitik bedeutet.
Eine solche andere Politik erscheint kurzfristig unrealistisch. Aber hier gilt tatsächlich: Das wird man doch noch mal sagen dürfen! Es muss gesagt werden. Mehr noch: Eine solche Politik muss eingefordert werden! Sonst sind die selbstverursachten Probleme tatsächlich auf Dauer nicht zu bewältigen. Die Folgen werden dann vor allem die Menschen, die hier leben, ob mit oder ohne deutschen Pass, zu tragen haben. Und wenn die einen Betrogenen in ihrer Blindheit, Dummheit und Wut auf die noch schwächeren Betrogenen losgehen, freuen sich nur jene, von denen sie betrogen wurden.
Neue Grenzschließungen und -ziehungen sind ebenso wie Gewalt gegen Flüchtlinge die falschen Antworten, weil sie keines der grundlegenden Probleme lösen. Ich befürchte allerdings, dass es sich um systembedingtes Staatsversagen und dass es sich um systemimmanentes Fehlverhalten der politischen Klasse handelt. Mir fällt dazu ein, was seit 1968 in Artikel 20, Absatz 4, des Grundgesetzes steht: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Wie das gehen soll, weiß ich nicht. Aber dieses Widerstandsrecht soll ja nur für den "absoluten Ausnahmefall" gelten, wie der Deutsche Bundestag dazu online erklären lässt.

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