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Freitag, 22. Juli 2016

Erdogans westliche Vorbilder

Recep Tayyip Erdogan scheint der neue Gottseibeiuns zu sein, der den Westen und seine Gralshüter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten das Fürchten lehrt. Er reiht sich da in eine illustre Truppe ein: Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi, Wladimir Putin, Bashar al-Assad und wie sie noch heißen und hießen. Auch die ersten Hitler-Vergleiche gab es schon, für die allerdings Erdogan auch selbst Anlass gab.

Zu neuen fragwürdigen Ehren als Wiedergänger von wem auch immer kam der türkische Präsident mit und nach dem missglückten Putschversuch gegen ihn. Es mag sein, dass das nur ein inszeniertes Ereignis war, um langgehegte Pläne von „Säuberungen“ im politischen System der Türkei durchziehen zu können. Wer das behauptet, sollte aber Beweise vorbringen, denn wie heißt es doch im Rechtsstaat: Im Zweifel für den Angeklagten. Es könnte ja auch sein, dass da tatsächlich verschiedene Kräfte innerhalb und außerhalb der Türkei versuchen wollten, Erdogan von der Macht zu entfernen. Darauf wies nicht nur FAZ-Redakteur Rainer Herrmann in der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 27. Mai 2016 hin. Ich hatte am 17. Juli 2016 darauf aufmerksam gemacht. In der FAZ selbst stellte ein online am 20. Juli 2016 veröffentlichter Beitrag die Frage „Und wenn Erdogan recht hat?“ und gibt verschiedene bejahende Antworten dazu aus der Türkei wieder.

Aber mal angenommen, Erdogan hat den Putschversuch inszeniert. Oder er nutzte einfach tatsächliche Putschpläne geschickt , auf die ihn vielleicht die Geheimdienste aufmerksam machten und denen er zuvorkam, um seine Idee des Präsidialsystems durchzusetzen: Damit würde er auch nur Prinzipien folgen, die führende Politikdarsteller führender westlicher Staaten schon lange praktizieren. Dazu gehört das Wissen, dass eine Krise sich am besten eignet, um Veränderungen gegen Widerstand durchzusetzen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklärte im Dezember 2012 gegenüber FAZ: „Ohne Krise bewegt sich nichts“. Dafür wird den Krisen schon mal auf die Sprünge geholfen oder sie gar in Gang gesetzt, auch inszeniert. Schon im Strategiepapier des Bundesfinanzministeriums unter Theo Waigel (CSU) mit dem Titel „Finanzpolitik 2000“ aus dem Jahr 1996 war auf Seite 43 dieses Papiers zu lesen, dass Sparmaßnahmen „politisch noch am leichtesten in einer Phase der wirtschaftlichen Bedrohung durchzusetzen“ seien. (siehe hier). Das Prinzip lässt sich flexibel auf andere politische Bereiche übertragen und warum sollte der türkische Präsident davon nicht lernen und das nicht nutzen?

Auf das Beispiel Ausnahmezustand und Aussetzung von Menschenrechten, was das Nachahmen angeht, hatte ich ja bereits am 21. Juli 2016 hingewiesen. Auf ein anderes Beispiel dafür, dass Erdogan vielleicht nur nachmacht, was die westlichen Hüter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ihm vormachen, das ich schon in einem Kommentar erwähnte, will ich hier nochmal deutlicher hinweisen. Im Westen wird die Ankündigung des türkischen Präsidenten, eventuell die Todesstrafe in der Türkei wieder einzuführen, mit allerlei Empörung bedacht. Aber das ist nicht nur passendes Schauspiel, sondern auch elende Heuchelei, anstatt dem alten Sprichwort zu folgen, nachdem erstmal vor der eigenen Haustür zu kehren sei, oder dem, im Glashaus sitzend nicht mit Steinen zu werfen. Dazu sei an das erinnert was u.a. die Süddeutsche Zeitung am 25. März 2011 meldete: "Der Tod eines Demonstranten beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua im Jahr 2001 hat keine juristischen Folgen für Italien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am Donnerstag rechtskräftig, daß die tödlichen Schüsse eines Carabiniere auf den Demonstranten Carlo Giuliani nicht menschenrechtswidrig waren."

Dass es sich dabei um alles, bloß nicht um einen Ausnahmefall gehandelt haben könnte, zeigt das, was Dietrich Antelmann im Ossietzky-Heft 14-15/2010 schrieb. Der Autor stellte damals eine interessante Frage und meinte nicht die Türkei: „Kehrt die Todesstrafe zurück?" Er bezog sich auf den 2007 verabschiedeten „Vertrag von Lissabon“ der EU, der seit Ende 2009 in Kraft ist. Antelmann machte darauf aufmerksam, dass zum „zum effektiven Schutz vor einer nicht mehr alles hinnehmenden Bevölkerung der Lissabon-Vertrag die Todesstrafe und die Tötung im ›Aufstand‹ oder ›Aufruhr‹“ ermöglicht. „In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden, heißt es zum Artikel über das Recht auf Leben: ‚Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.‘ Und weiter: ‚Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden.‘ Diese ‚Negativdefinitionen‘ müssen auch als Teil der Charta betrachtet werden. Gemäß Titel VII, Artikel 52 (7) des Lissabon-Vertrags sind die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfaßt wurden, von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“ Zur Irreführung der Öffentlichkeit seien die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die noch in der abgelehnten Verfassung von Europa standen, nicht mehr im Vertrag von Lissabon enthalten. „Stattdessen stehen sie im Amtsblatt der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007“, so Antelmann. „Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungskonvents, Giuliano Amato, erklärte im Juni 2007, daß die Regierungschefs sich auf einen schwer lesbaren Text verständigt hätten, damit die Kernreformen nicht auf Anhieb erkennbar seien und sich die Forderungen nach Referenden in den Mitgliedstaaten vermeiden ließen …“. Und: „Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Vertragswerk schließlich für grundgesetzkonform.

Ich finde das im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in der Türkei für bemerkens- und beachtenswert. Es gibt einen Unterschied: Erdogan macht es offen, während die Regierenden der EU es so tun, dass es die eigenen Bevölkerungen möglichst nicht merkt. Das und auch die neuen Annäherungssignale zwischen Ankara und Moskau haben mich an einen Text erinnert, den ich genau vor vier Jahren veröffentlicht habe: „Putin schreibt nur ab“. Darin habe ich darauf hingewiesen, dass der von westlichen Wächtern über Demokratie und Freiheit viel kritisierte russische Präsident Wladimir Putin nur nachholt, was der Westen vormacht. Ausgangspunkt war ein Text von Kai Ehlers, der im Juni 2012 feststellte: „Wenn man Wladimir Putin und den von ihm jetzt eingeschlagenen Kurs kritisch bewerten möchte, muß man wieder einmal aufpassen, von der geballten Macht der westlichen Besserwisser und Demagogen nicht mitgeschleift zu werden.“ Am Beispiel des damals neugefassten und im Westen viel gescholtenen russischen Versammlungsgesetzes stellte Ehlers fest, dass dieses Beispiel „faktisch nichts anderes als eine Angleichung der russischen Standards an westliche Niveaus“. Dieser Feststellung Putins müsse zustimmen, „wer genau hinschaut“, schrieb Ehlers damals und meinte „Putin hat leider recht …“. Auf diese Weise und eben anders als westliche Demagogen behaupten könnten die Handlungen von Erdogan und Putin etwas Gemeinsames haben.

Das gibt es noch so etwas wie eine Gemeinsamkeit: Russland hat ein Präsidialsystem und Erdogan strebt es wohl an. Das ist im seinem Fall natürlich nur was ganz Schlechtes und die Vorstufe zur Diktatur. Das kann auch gar nicht anders sein bei solch einem Gottseibeiuns. Erdogan folgt da aber weniger einem russischen Vorbild als auch hier einem westlichen. Ausgerechnet Frankreich hat ein solches ausgeprägtes Präsidialsystem, an dessen Spitze derzeit einer steht, der sich nicht von den Protesten gegen die (A)Sozialgesetze beirren lassen will. "Mir ist es lieber, dass von mir das Bild eines Präsidenten bleibt, der auch unpopuläre Reformen durchgesetzt hat, als das eines Präsidenten, der nichts unternommen hat“, wurde François Hollande am 17. Mai 2016 von der FAZ zitiert. Und da gibt es noch ein anderes Beispiel: Die USA. Dazu heißt es zum Beispiel im Online-Universal-Lexikon: "Das Modell des Präsidialsystems ist unter dem Einfluss der Gewaltenteilungslehre Montesquieus konzipiert worden, mit großer Konsequenz in der Verfassung der USA."

An all das erinnert denke ich, dass wir auch im Fall Türkei genau hinschauen sollten und uns auch dabei nicht „von der geballten Macht der westlichen Besserwisser und Demagogen“ mitschleifen lassen sollten. Das gilt auch, wenn die Politik Erdogans kritisch zu bewerten ist und ihr nicht zugestimmt werden kann. Die muss kritisiert werden, wo das notwendig ist, aber eben ohne doppelte Standards und doppelte Moral. Diese geben die heuchelnden Politikdarsteller des Westens vor, die sich um die von ihnen verkündeten und gepriesenen Werte einen Dreck kümmern, wenn es den Interessen derjenigen Herrschenden dient, in deren Auftrag sie regieren und Politik machen.

aktualisiert: 17:11 Uhr

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