Bitte beachten:

Mit deutsch- und volkstümelndem sowie rechtsextremem und faschistischem Gedankengut habe ich nichts am Hut und nichts zu tun!

Freitag, 22. Juli 2016

Erdogans westliche Vorbilder

Recep Tayyip Erdogan scheint der neue Gottseibeiuns zu sein, der den Westen und seine Gralshüter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten das Fürchten lehrt. Er reiht sich da in eine illustre Truppe ein: Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi, Wladimir Putin, Bashar al-Assad und wie sie noch heißen und hießen. Auch die ersten Hitler-Vergleiche gab es schon, für die allerdings Erdogan auch selbst Anlass gab.

Zu neuen fragwürdigen Ehren als Wiedergänger von wem auch immer kam der türkische Präsident mit und nach dem missglückten Putschversuch gegen ihn. Es mag sein, dass das nur ein inszeniertes Ereignis war, um langgehegte Pläne von „Säuberungen“ im politischen System der Türkei durchziehen zu können. Wer das behauptet, sollte aber Beweise vorbringen, denn wie heißt es doch im Rechtsstaat: Im Zweifel für den Angeklagten. Es könnte ja auch sein, dass da tatsächlich verschiedene Kräfte innerhalb und außerhalb der Türkei versuchen wollten, Erdogan von der Macht zu entfernen. Darauf wies nicht nur FAZ-Redakteur Rainer Herrmann in der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 27. Mai 2016 hin. Ich hatte am 17. Juli 2016 darauf aufmerksam gemacht. In der FAZ selbst stellte ein online am 20. Juli 2016 veröffentlichter Beitrag die Frage „Und wenn Erdogan recht hat?“ und gibt verschiedene bejahende Antworten dazu aus der Türkei wieder.

Aber mal angenommen, Erdogan hat den Putschversuch inszeniert. Oder er nutzte einfach tatsächliche Putschpläne geschickt , auf die ihn vielleicht die Geheimdienste aufmerksam machten und denen er zuvorkam, um seine Idee des Präsidialsystems durchzusetzen: Damit würde er auch nur Prinzipien folgen, die führende Politikdarsteller führender westlicher Staaten schon lange praktizieren. Dazu gehört das Wissen, dass eine Krise sich am besten eignet, um Veränderungen gegen Widerstand durchzusetzen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklärte im Dezember 2012 gegenüber FAZ: „Ohne Krise bewegt sich nichts“. Dafür wird den Krisen schon mal auf die Sprünge geholfen oder sie gar in Gang gesetzt, auch inszeniert. Schon im Strategiepapier des Bundesfinanzministeriums unter Theo Waigel (CSU) mit dem Titel „Finanzpolitik 2000“ aus dem Jahr 1996 war auf Seite 43 dieses Papiers zu lesen, dass Sparmaßnahmen „politisch noch am leichtesten in einer Phase der wirtschaftlichen Bedrohung durchzusetzen“ seien. (siehe hier). Das Prinzip lässt sich flexibel auf andere politische Bereiche übertragen und warum sollte der türkische Präsident davon nicht lernen und das nicht nutzen?

Auf das Beispiel Ausnahmezustand und Aussetzung von Menschenrechten, was das Nachahmen angeht, hatte ich ja bereits am 21. Juli 2016 hingewiesen. Auf ein anderes Beispiel dafür, dass Erdogan vielleicht nur nachmacht, was die westlichen Hüter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ihm vormachen, das ich schon in einem Kommentar erwähnte, will ich hier nochmal deutlicher hinweisen. Im Westen wird die Ankündigung des türkischen Präsidenten, eventuell die Todesstrafe in der Türkei wieder einzuführen, mit allerlei Empörung bedacht. Aber das ist nicht nur passendes Schauspiel, sondern auch elende Heuchelei, anstatt dem alten Sprichwort zu folgen, nachdem erstmal vor der eigenen Haustür zu kehren sei, oder dem, im Glashaus sitzend nicht mit Steinen zu werfen. Dazu sei an das erinnert was u.a. die Süddeutsche Zeitung am 25. März 2011 meldete: "Der Tod eines Demonstranten beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua im Jahr 2001 hat keine juristischen Folgen für Italien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am Donnerstag rechtskräftig, daß die tödlichen Schüsse eines Carabiniere auf den Demonstranten Carlo Giuliani nicht menschenrechtswidrig waren."

Dass es sich dabei um alles, bloß nicht um einen Ausnahmefall gehandelt haben könnte, zeigt das, was Dietrich Antelmann im Ossietzky-Heft 14-15/2010 schrieb. Der Autor stellte damals eine interessante Frage und meinte nicht die Türkei: „Kehrt die Todesstrafe zurück?" Er bezog sich auf den 2007 verabschiedeten „Vertrag von Lissabon“ der EU, der seit Ende 2009 in Kraft ist. Antelmann machte darauf aufmerksam, dass zum „zum effektiven Schutz vor einer nicht mehr alles hinnehmenden Bevölkerung der Lissabon-Vertrag die Todesstrafe und die Tötung im ›Aufstand‹ oder ›Aufruhr‹“ ermöglicht. „In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden, heißt es zum Artikel über das Recht auf Leben: ‚Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.‘ Und weiter: ‚Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden.‘ Diese ‚Negativdefinitionen‘ müssen auch als Teil der Charta betrachtet werden. Gemäß Titel VII, Artikel 52 (7) des Lissabon-Vertrags sind die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfaßt wurden, von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“ Zur Irreführung der Öffentlichkeit seien die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die noch in der abgelehnten Verfassung von Europa standen, nicht mehr im Vertrag von Lissabon enthalten. „Stattdessen stehen sie im Amtsblatt der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007“, so Antelmann. „Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungskonvents, Giuliano Amato, erklärte im Juni 2007, daß die Regierungschefs sich auf einen schwer lesbaren Text verständigt hätten, damit die Kernreformen nicht auf Anhieb erkennbar seien und sich die Forderungen nach Referenden in den Mitgliedstaaten vermeiden ließen …“. Und: „Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Vertragswerk schließlich für grundgesetzkonform.

Ich finde das im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in der Türkei für bemerkens- und beachtenswert. Es gibt einen Unterschied: Erdogan macht es offen, während die Regierenden der EU es so tun, dass es die eigenen Bevölkerungen möglichst nicht merkt. Das und auch die neuen Annäherungssignale zwischen Ankara und Moskau haben mich an einen Text erinnert, den ich genau vor vier Jahren veröffentlicht habe: „Putin schreibt nur ab“. Darin habe ich darauf hingewiesen, dass der von westlichen Wächtern über Demokratie und Freiheit viel kritisierte russische Präsident Wladimir Putin nur nachholt, was der Westen vormacht. Ausgangspunkt war ein Text von Kai Ehlers, der im Juni 2012 feststellte: „Wenn man Wladimir Putin und den von ihm jetzt eingeschlagenen Kurs kritisch bewerten möchte, muß man wieder einmal aufpassen, von der geballten Macht der westlichen Besserwisser und Demagogen nicht mitgeschleift zu werden.“ Am Beispiel des damals neugefassten und im Westen viel gescholtenen russischen Versammlungsgesetzes stellte Ehlers fest, dass dieses Beispiel „faktisch nichts anderes als eine Angleichung der russischen Standards an westliche Niveaus“. Dieser Feststellung Putins müsse zustimmen, „wer genau hinschaut“, schrieb Ehlers damals und meinte „Putin hat leider recht …“. Auf diese Weise und eben anders als westliche Demagogen behaupten könnten die Handlungen von Erdogan und Putin etwas Gemeinsames haben.

Das gibt es noch so etwas wie eine Gemeinsamkeit: Russland hat ein Präsidialsystem und Erdogan strebt es wohl an. Das ist im seinem Fall natürlich nur was ganz Schlechtes und die Vorstufe zur Diktatur. Das kann auch gar nicht anders sein bei solch einem Gottseibeiuns. Erdogan folgt da aber weniger einem russischen Vorbild als auch hier einem westlichen. Ausgerechnet Frankreich hat ein solches ausgeprägtes Präsidialsystem, an dessen Spitze derzeit einer steht, der sich nicht von den Protesten gegen die (A)Sozialgesetze beirren lassen will. "Mir ist es lieber, dass von mir das Bild eines Präsidenten bleibt, der auch unpopuläre Reformen durchgesetzt hat, als das eines Präsidenten, der nichts unternommen hat“, wurde François Hollande am 17. Mai 2016 von der FAZ zitiert. Und da gibt es noch ein anderes Beispiel: Die USA. Dazu heißt es zum Beispiel im Online-Universal-Lexikon: "Das Modell des Präsidialsystems ist unter dem Einfluss der Gewaltenteilungslehre Montesquieus konzipiert worden, mit großer Konsequenz in der Verfassung der USA."

An all das erinnert denke ich, dass wir auch im Fall Türkei genau hinschauen sollten und uns auch dabei nicht „von der geballten Macht der westlichen Besserwisser und Demagogen“ mitschleifen lassen sollten. Das gilt auch, wenn die Politik Erdogans kritisch zu bewerten ist und ihr nicht zugestimmt werden kann. Die muss kritisiert werden, wo das notwendig ist, aber eben ohne doppelte Standards und doppelte Moral. Diese geben die heuchelnden Politikdarsteller des Westens vor, die sich um die von ihnen verkündeten und gepriesenen Werte einen Dreck kümmern, wenn es den Interessen derjenigen Herrschenden dient, in deren Auftrag sie regieren und Politik machen.

aktualisiert: 17:11 Uhr

Wenn zwei das Gleiche tun ...

Die türkische Regierung hat angekündigt, im Zuge des Ausnahmezustandes die Europäische Menschenrechtskonvention auszusetzen

Wenn zwei das Gleiche tun ist das noch lang nicht das Selbe. So sagt es eine alte Weisheit. Ist das immer so? Was ist es dann? Nur das Gleiche?
So meldet u.a. die österreichische Tageszeitung Die Presse online am 21. Juli 2016: "Die türkische Regierung hat die Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) angekündigt. Der Schritt folge der Ausrufung des Ausnahmezustandes, erklärte Vizeregierungschef Numan Kurtulmus, wie der Sender NTV berichtete. ...
Zwar versprachen Politiker der AK-Partei, dass sich für türkische Bürger trotz des Ausnahmezustandes nichts ändern werde. Die Menschenrechtskonvention werde aber ausgesetzt, so Kurtulmus, der in diesem Zusammenhang Frankreich als Vorbild nannte. Dort wurde nach den Paris-Anschlägen vom November ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt und die EMRK unter Berufung auf Artikel 15 der Konvention teilweise ausgesetzt. ..."
Zum erwähnten Beispiel Frankreich meldete u.a. die ebenfalls österreichische Zeitung Der Standard online am 25. November 2015: "Nach den Pariser Anschlägen mit 130 Toten hat Frankreich die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise ausgesetzt. ...
Frankreich begründet die Maßnahme mit dem nach den Anschlägen vom 13. November ausgerufenen Ausnahmezustand, der mittlerweile auf drei Monate verlängert wurde. Dabei beruft sich die Regierung auf Artikel 15 der Konvention. Demnach können Unterzeichner von den Verpflichtungen "abweichen", wenn "das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht" wird und die Lage im Land das "unbedingt erfordert". ..."
Nur zur Erinnerung an die letzten Anschlägen in türkischen Städten hier der Hinweis auf einen Beitrag der FAZ online vom 29. Juni 2016 über die Anschlagserie in der Türkei in den letzten Monaten.

Ich habe einem Freund, der von mir ein klares Bekenntnis gegen die Politik des türkischen Präsidenten Erdogan haben wollte, gesagt, dass ich ihm das nicht geben kann. Ich habe das damit begründet, dass ich nicht genau weiß, was da in der Türkei vor sich geht und wer da welches Spiel mit welchen Mitteln spielt auf Kosten viel zu vieler Opfer. Deshalb kann ich auch die Frage nicht beantworten, was das im konkreten Fall nun genau ist, wenn zwei das Gleiche tun, ob es etwa gar in dem einen Fall gut, in dem anderen aber schlecht ist. Auf jeden Fall finde ich in beiden Fällen die (mir bekannten) Ursachen für die konkreten Entwicklungen und deren Folgen für viele Unbeteiligte nicht gut. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist beides wie auch jedes ähnliche Ereignis anderswo nicht gut.

Erdogans westliche Vorbilder


Ich hatte diesen Text am 21. Juli zuerst auf freitag.de veröffentlicht. Nicht unerwartet gab es eine Reihe von zum Teil kontroversen Kommentaren, einige wenige persönlich. Darunter waren zahlreiche interessante Bemerkungen zum Thema. Ich habe mit Folgendem darauf geantwortet:
Vielen Dank für die sachlichen, auch in der Sache gegensätzlichen Bemerkungen. Ich halte das alles auf jeden Fall für bedenkenswert, was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des französischen und türkischen Ausnahmefalls angeht.
Die persönlichen Bemerkungen .. naja, ab in die Tonne. Wobei manche mir davon so eine leichte Ahnung davon geben, dass für manche auf dieser Plattform vielleicht sowas wie ein mentaler oder Meinungs-Ausnahmezustand willkommen wäre oder schon gilt. Jede abweichende Position, jeder Zweifel an dem scheinbar und anscheinend Offensichtlichen darf nicht sein, das muss mindestens verbal bekämpft werden ... naja. Sicher ein harter Vorwurf, der auch nur für ganz wenige gilt, für ganz ganz Wenige, die aber anscheinend nicht an sich halten können und anderen das vorwerfen müssen, was sie selbst praktizieren ganz nach dem Motto: Ich habe Recht, weil mir meine Meinung besser gefällt.
Aber wie gesagt, das sind auch hier noch Ausnahmen, auch beim Thema Ausnahmezustand.
Ansonsten bin ich gespannt, wie es weiter geht. Frankreich wirft schon mal aus Rache Bomben in Syrien und hat Soldaten nach Libyen geschickt. Was passiert da eigentlich im Inneren? Ist der französische Ausnahmezustand tatsächlich nur Attrappe? Hat schon mal jemand an die Massenproteste gegen unsoziale Gesetze gedacht, was das für diese bedeutet, dass auch in Frankreich die Europäische Menschenrechtskonvention zeitweise außer Kraft gesetzt wurde? Ist die zeitliche Gleichheit mit den Anschlägen nur Zufall, weil Islamisten auf andere Protesttermine keine Rücksicht nehmen?
Ist Erdogan tatsächlich so wie Putin sein soll, hinterhältig, nichts als machtbesessen, rücksichtslos, und all seine Wähler und Anhänger alles nur von der falschen Koranauslegung besessen oder gar unter Drogen gesetzt? Oder werden die gleichen einfachen Erklärungsmuster auch im Fall der Türkei angewandt, weil es uns so passt, etwas nicht so einfach Erklärbares so zu deuten, weil es nicht unseren Mustern entspricht? In einem Gewerkschaftsblatt fand ich vor ein paar Tagen einen Bericht über die ICCI 2016, die Energiemesse in Istanbul, mit vielen deutschen Unternehemen (siehe hier als PDF-Datei, letzte Seite). Die Überschrift des Textes: "Riesiger Markt am Bosporus" und dann u.a. der Hinweis, dass die türkische Wirtschaft die 18tgrößte Volkswirtschaft der Welt ist und deutliche Wachstumsraten aufweisen könne. Das interessiere deutsche Firmen sehr, bis dahin, dass die ICCI 2016 von einer türkischen Tochter der Hannover-Messe ausgerichtet wird. Hat das nichts mit den Ereignissen zu tun? Spielt politische Ökonomie keine Rolle in den aktuellen Vorgängen? Sollen oder wollen wir das nicht erkennen?
Aber sicher führt das zu weit vom Thema der Ausnahmezustände dort und dort weg. Das hat alles nichts miteinander zu tun. und als Putin-Versteher kann ich natürlich gar nicht anders als zu versuchen zu verstehen, was Erdogan tut und warum.
Da fällt mir ein, das ich vor ein paar Tagen nochwas anderes las: Dass die CIA hinter dem Putschversuch in der Türkei stehen könnte. Das hätte glatt von mir sein können, gebe ich zu. War es aber nicht. Sondern vom früheren US-Diplomaten Lawrence Wilkerson, der mal für Colin Powell arbeitete, als der US-Außenminister war. Ja, und der hat das gegenüber Sputnik gesagt. Aber da kann das ja gar nicht im Ansatz eine mögliche Möglichkeit sein ... Und der Wilkerson, der auch Ex-Oberst ist, der hat ja noch so andere komische Sachen gesagt und die USA gar als "den Händler des Todes in der Welt" bezeichnet, der ist ja auch noch voll unamerikanisch ... Oder der ist von Moskau bezahlt. Geht gar nicht anders.

Ein Kommentar eines Bloggers war: "... Die Zeit-Korrespondentin aus Nizza schreibt:
Tatsächlich setzt die Polizei mit dem Segen des Innenministeriums ihre erweiterten Befugnisse nicht allein für den Kampf gegen potenzielle Terroristen, sondern auch gegen kritische Bürger ein. In den vergangenen Monaten wurden beispielsweise Demonstrationen verboten, obwohl die Bürger etwa gegen den Bau eines Flughafens oder gegen ein umstrittenes Arbeitsgesetz auf die Straße gehen wollten.
Das deutet sehr stark darauf hin, dass die französische Regierung das Geschäft des FN mitbetreibt, aber gleichzeitig politische Ziele verfolgt, indem sie, wie hier geschildert, legitime politische Kundgebungen mit Hilfe des Artikels 15 verhindert. Es nützt also nichts, wenn sozialdemokratische (sozialistische?) Regierungen an der Macht sind. Sie sind es gerade, wie auch bei uns in Deutschland, die den Sozialabbau umsetzen oder, wenn es aus deren Sicht nötig erscheint, bürgerliche Grundrechte außer Kraft setzen."

Ich fügte u.a. noch hinzu:
Erdogan macht vielleicht nur nach, was die westlichen Hüter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ihm vormachen ... Halte ich überhaupt nicht für verwunderlich, auch wenn es das in keinem Fall besser macht.
Und zum westeuropäischen Entsetzen über die Äußerungen Erdogans zur Wiedereinführung der Todesstrafe sei an Folgendes erinnert: Eine Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 25. März 2011: "Der Tod eines Demonstranten beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua im Jahr 2001 hat keine juristischen Folgen für Italien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am Donnerstag rechtskräftig, daß die tödlichen Schüsse eines Carabiniere auf den Demonstranten Carlo Giuliani nicht menschenrechtswidrig waren." Dietrich Antelmann schrieb im Jahr 2010 in Ossietzky u.a. Folgendes: "… zum effektiven Schutz vor einer nicht mehr alles hinnehmenden Bevölkerung ermöglicht der Lissabon-Vertrag die Todesstrafe und die Tötung im ›Aufstand‹ oder ›Aufruhr‹. In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden, heißt es zum Artikel über das Recht auf Leben: ›Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.‹"
Wer es nicht versteht, sollte das nochmal ganz in Ruhe lesen.

Ex-US-Militär: USA sind "die Händler des Todes der Welt"

Das Eingeständnis eines Ex-US-Militärs und Mitarbeiters der Bush junior-Administration: “We are the death merchant of the world”

Das hat Ex-US-Oberst Lawrence Wilkerson gegenüber dem US-Online-Magazin Salon gesagt, was am 29. März 2016 veröffentlicht wurde. Wilkerson war Mitarbeiter der Administeration des US-Präsidenten George W. Bush und dessen Außenministers Colin Powell. Er verweist auf die Rolle des Militärisch-Industriellen Komplexes der USA, der viel schädlicher sei, als es US-Präsident Dwight D. Eisenhower einst befürchtete.

Wilkerson war selbst aktiv an mehreren US-Kriegen beteiligt, umso erstaunlicher seine heutige Kritik. Bevor ich jetzt viel zitiere, empfehle ich das Selberlesen seines Textes auf Salon.


Sonntag, 17. Juli 2016

Ein überraschender Putschversuch?

Nachdenkliches zu den jüngsten Ereignissen in der Türkei

Niemand habe mit dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli gerechnet, erklärte der deutsche Islam-Wissenschaftler und „Türkei-Experte“ Udo Steinbach im online am 17. Juli veröffentlichten Interview mit dem Schweizer Tages-Anzeiger. Wenn das ernst gemeint ist, dann ist Steinbach alles, bloß kein „Experte“, oder irgendwas ist auch an diesen Ereignissen nicht so, wie sie uns dargestellt werden.

Als ich am Abend des 15. Juli die ersten Nachrichten vom Putschversuch in der Türkei bekam, war ich erstaunt. Aber nicht vom Ereignis selber, sondern davon, dass vor nicht allzu langer Zeit mindestens in einem deutschen Medium eine solche Möglichkeit beschrieben wurde. Elektrisiert erinnerte ich mich an das Titelbild der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 27. Mai, das seit dem Erscheinen auf meinem Schreibtisch lag. Auf diesem war unter anderem zu lesen: „Türkei: Die Armee könnte Erdogan bremsen“. Ich hatte die Ankündigung des entsprechenden Beitrages interessiert zur Kenntnis genommen, den Text von FAZ-Redakteur Rainer Herrmann aber leider bis zum 15. Juli noch nicht gelesen. Das holte ich dann in der Nacht des Putschversuches nach. Die Ankündigung auf dem Titel hatte mich u.a. an die vorherigen Putsche in der Türkei denken lassen und mich auch an die Ereignisse in Ägypten erinnert, als die dortige Armee im Juli 2013 den demokratisch gewählten islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi aus dem Amt putschte.

Bei den Nachrichten aus der Türkei wurde ich erneut daran erinnert und fragte mich, wer wohl diesmal das dachte, was vor drei Jahren im Fall Ägypten in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war: Warum der Militärputsch notwendig war. Heute, wo der Putschversuch vom 15. Juli endgültig als gescheitert anzusehen ist und sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als Held darstellt, der nun aufräumen werde, will natürlich niemand der üblichen Verdächtigen auch im Westen jemals so etwas gedacht haben. Deshalb lohnt sich immer noch ein Blick in den Beitrag von Herrmann in der Frankfurter Allgemeinen Woche vom 27. Mai. Der Autor berichtete darin von anhaltenden Putschgerüchten in der Türkei und: „Viele hoffen auf ein Eingreifen der Armee, um den Präsidenten zu bremsen“. Laut Herrmann sei die Haltung der Armee gegenüber Erdogan rätselhaft: „Ist es dem allmächtigen Staatspräsidenten gelungen, die Armee als potentielle Gefahr für seine Herrschaft auszuschalten – oder nicht?“ Die Antwort sei wichtig geworden, seitdem Erdogan immer mehr Macht in seinen Händen konzentrierte und wichtige Elemente der Demokratie, sowohl die Legislative, das Parlament, als auch die Judikative, die Justiz, ausgeschaltet habe. Der Autor schrieb auch davon, dass „nicht nur in der Türkei selbst“ die Frage gestellt werde, ob die Armee „die letzte Kontrollinstanz ist, um den Staatspräsidenten in die Schranken zu weisen“. Die Gerüchte würden nicht verstummen, so Herrmann noch im Mai, „dass unzufriedene Offiziere wieder putschen und die Macht übernehmen könnten“. Zwar habe Erdogan über Entlassungen und Gerichtsverfahren gegen hohe Militärs wegen angeblicher Putschpläne die Militärführung neutralisiert und auf seine Seite gebracht. Doch das Unbehagen bei den Uniformierten gegenüber dem Präsidenten sei geblieben, was auch die Sympathien entlassener hoher Militärs für die Gezi-Proteste und die gegen die Islamisierung aufbegehrende Jugend in den Städten zeige. „Zuletzt kursierten in regierungskritischen Medien Ende März fiebrige Spekulationen über mögliche Putschpläne, hinter denen kein geringerer als der amerikanische Präsident Barack Obama stehe.“ Auch habe ein ehemaliger türkischer Offizier kurz danach im Wall Street Journal erklärt, dass die Armee als einzige Institution Erdogan bremsen könne und unter anderem einen türkischen Einmarsch in Syrien verhindert habe. Herrmann beschrieb bei allen Zweifeln an den Gerüchten ein mögliches Szenario, „das abermals zu einem Eingreifen der Armee führt, denn die Türkei ist von Terror bedroht, durch den ‚Islamischen Staat‘ und die kurdische PKK.“ 1980 habe die Armee interveniert, „um der Gewalt auf den Straßen ein Ende zu setzen“, und 1960, 1971 und 1997 um die Republik Atatürks wiederherzustellen. „Auch das ist heute nicht auszuschließen, sollte Erdogan versuchen, die Republik, die 2023 ihren 100. Geburtstag feiert, weiter zu islamisieren.

Doch der mutmaßliche Versuch dazu kurze Zeit nach Herrmanns Beitrag scheiterte nun und Erdogan stellt sich in der Folge als Retter der Nation dar und diffamiert die Putschisten unter anderem damit, dass sie die Waffen gegen das türkisch Volk erhoben hätten, „gegen deine Mutter und deinen Vater“. Als ich das im Radio in der Übersetzung seiner Rede nach dem Putschversuch hörte, musste ich abschalten, weil mir bei solcher Demagogie speiübel wird. Über die tatsächlichen Hintergründe der Ereignisse vom 15. Juli kann natürlich nur spekuliert werden. Interessant finde ich den Hinweis von „Türkei-Experte“ Steinbach, dass der Putschversuch „ganz offensichtlich von niederrangigen Offizieren“ ausgegangen und die aktuelle Militärführung nicht involviert gewesen sei. Vielleicht haben die Putschisten einen Faktor unterschätzt, der beispielsweise 1980 eine Rolle spielte und auf den der deutsche Islam-Wissenschaftler im Tages-Anzeiger-Interview ebenfalls hinwies: „Damals hat die Armee geschlossen die Macht übernommen – nach vorheriger Absprache mit den Nato-Verbündeten. Man war froh, dass die Militärs eingreifen und das Land vor dem Verfall retten.“ Vielleicht haben die „niederrangigen“ Putsch-Militärs die internationale Kritik an Erdogans Politik überbewertet und missverstanden. Das Titelbild der Juli-Ausgabe der deutschen Zeitschrift Konkret konnten sie sicher nicht kennen: Darauf Erdogan als „Unser Mann am Bosporus“ mit der Unterzeile „Die deutschen Deals mit der Türkei“. Sie haben wahrscheinlich nicht klar gesehen, wie willkommen den führenden westlichen Mächten die Politik Erdogans im Nahen Osten tatsächlich zu sein scheint, auch nicht, dass die westliche Kritik an der undemokratischen Politik des türkischen Präsidenten im Inneren nur „Opium fürs Volk“ ist. Was kümmerte die Herrschenden und Mächtigen des Westens jemals die Demokratie, wenn sie ihre Interessen gefährdet sahen? Auch deshalb wird mir bei den aktuellen westlichen Erklärungen zum Putschversuch in der Türkei ebenfalls speiübel.

Zu den Ergebnissen der Ereignisse vom 15. Juli gehört neben vielen Todesopfern und einem Rachefeldzug der unbesiegt Gebliebenen das Gegenteil des Angestrebten: „Erdogan wirkt wie eine Heldenfigur, die gegen den Putschversuch einen Sieg der Demokratie erstritten hat.“ Das erklärte der türkische regierungskritische Journalist Baris Ince ebenfalls in einem ebenfalls vom Schweizer Tages-Anzeiger am 17. Juli online veröffentlichten Interview. Erdogan habe nun „freies Spiel“, meinte Ince und ergänzte: „So wurden bereits zahlreiche Richter und Teile der Sicherheitskräfte verhaftet, mit der Begründung, den Aufstand unterstützt zu haben.“ „Erdogan wird jetzt noch entschlossener gegen seine Kritiker und Gegner vorgehen“, erklärte der der Istanbuler Politologe Can Büyükbay gegenüber dem Tages-Anzeiger am 16. Juli. „So wird er die Armee säubern. Die Armee, die sich als Hüterin einer laizistischen Staatsordnung sieht, verliert endgültig ihre Position als Gegenmacht.“ Für Büyükbay handelte es sich beim dem schlecht organisierten Putschversuch um einen Teil des Machtkampfes zwischen Erdogan und dem in den USA lebenden islamistischen Prediger Fethullah Gülen. Letzterem stünden einige der gescheiterten Putschisten nahe. „Das ist auch die Ansicht der meisten Politanalysten und -kommentatoren – obwohl die Gülen-Bewegung betont, dass sie nichts mit dem Putsch zu tun. Warum es gerade jetzt zum Umsturzversuch gekommen ist, ist allerdings unklar.

Eine andere mögliche Erklärung lieferte ein Beitrag der FAZ, online veröffentlicht am 16. Juli. Darin berichtete Yasemin Ergin aus Istanbul und zitierte den Kellner einer Hotelbar: „Das ist doch alles geplant, und morgen ist der Putsch dann vorbei und er führt das Präsidialsystem ein.“ Das habe sie mehrfach gehört, und: „Immer wieder hört man Menschen darüber diskutieren, dass die Bilder von den Demonstranten, die auf Panzer klettern, zu perfekt inszeniert wirken, dass Staatspräsident Erdogan, der von einem sicheren Ort aus das Volk zum Marsch auf die Straßen aufruft, zu gut vorbereitet wirkt.“ Die Proteste gegen den Putschversuch seien orchestriert, sagte der regierungskritische Journalist Ince auch gegenüber dem Tages-Anzeiger.

Putsch-Prophet Herrmann meinte übrigens in der Online-Ausgabe der FAZ vom 16. Juli zum gescheiterten Putsch-Versuch, dass dabei „eine Menge Fehler“ gemacht worden seien, weshalb er scheitern habe müssen: „In der Nacht auf Samstag deutete jedoch vieles schon früh darauf hin, dass dieser Versuch nicht generalstabsmäßig geplant sein konnte und daher scheitern musste.“ Das Vorgehen der Putschisten „war … derart plump, dass es Zweifel an der Professionalität der zweitgrößten Armee der Nato weckte.“ Und Herrmann meinte: „Ein entscheidender Unterschied zu früheren Coups ist zudem, dass in der türkischen Gesellschaft kaum jemand Partei für die Putschisten ergriffen hat.“ Und fügte hinzu: „Nie aber haben die Generäle das Land demokratischer und freier gemacht. Groß bleibt daher der Zweifel an den politischen Absichten und Zielen der Armee.“ Ohne Hinweis auf seinen Beitrag vom 27. Mai schrieb der Autor nun: „Zivile Fachleute in Ankara, die sich mit der türkischen Armee auskennen, bestätigen seit Monaten, dass die Unzufriedenheit in der Armee zunehme. Wiederholt hatte das Wort von einer möglichen bevorstehenden ‚Meuterei‘ die Runde gemacht, nicht aber von einem Putschversuch. Der Generalstab sah sich denn auch zu einer Erklärung veranlasst, dass in der Türkei kein Coup mehr stattfinden könne.

Wie auch immer: Auch der Westen dürfte damit zufrieden sein, denn der vermeintliche Widerstand in der Bevölkerung gegen den Putschversuch zeigt ja die anscheinende Unterstützung für "unseren Mann am Bosporus" Erdogan. Wer will dagegen schon was sagen und noch daran zweifeln, dass in der Türkei am Ende alles demokratisch, also vermeintlich vom Volk gewollt, zugeht? Damit dürften es auch Kritiker der westlichen Unterstützung für Erdogan schwerer haben. Obama, Merkel und wie sie alle heißen, werden die Politik des türkischen Präsidenten sicher weiter unterstützen. Nur manchmal werden sie ihn vielleicht doch wieder an 1980 erinnern … Die Frage, wem der Putschversuch vom 15. Juli tatsächlich nützte, bleibt weiter zu stellen, aber auch die der Süddeutschen Zeitung von vor drei Jahren, ob ein Militärputsch manchmal notwendig sein kann. Wer darüber redet, sollte Beispiele wie die „Nelken-Revolution“ 1974 in Portugal, als Soldaten der "Bewegung der Streitkräfte", der Movimento das Forças Armadas (MFA), das faschistische Salazar-Regime stürzten, nicht außer acht lassen. Aber die Zeit des damaligen Aufbruches in Portugal währte nur kurz, was auch nicht vergessen werden darf. Die dafür sorgten, setzen auch heute wieder und weiter ihre Interessen durch, nach allen Regeln der Demokratie, aber wenn nötig auch mit Putsch und Diktatur und auch mit Islamisten.