-Autor Arno Luik kritisiert zu Recht den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien. Aufklärung leistet er leider nicht.
In der Ausgabe des Magazins
Stern vom 10. Dezember 2015 (S. 42/43) widerspricht Autor Luik unter dem Titel „
Die Schlafwandler rücken aus“
den politischen und medialen Begründungen für den
Bundeswehr-Kriegseinsatz in Syrien. Die Bundesregierung handele
gefährlich kopflos und schlafwandele wie einst jene, die das laut
Christopher Clark 1914 vor und zu Beginn des 1. Weltkrieges getan haben
sollen. Albrecht Müller bezeichnete
am 10. Dezember 2015 auf den Nachdenkseiten Luiks Text als „
Kompakte Aufklärung gegen den Kriegseinsatz“,
die weiterverbreitet werden müsse. Nicht nur diese Bitte Müllers hat
mich zu Widerspruch angeregt. Vor dem Weiterverbeiten müsste das
Auseinandersetzen mit dem Text kommen.
Luik sagt deutlich Nein zum Kriegseinsatz. Jedes Nein zum Krieg ist
wichtig. Aber wie und mit was er das begründet, das zwingt mich
gewissermaßen zum Widerspruch. Er lässt wichtige Hintergründe und
Zusammenhänge weg. Zugleich wirft er alle am Konflikt in und um Syrien
Beteiligte in einen Topf, obwohl es da deutliche Unterschiede in den
Interessen und im Handeln gibt. Luik lässt Wichtiges weg und urteilt zum
Teil pauschal. Das ist keine Form von Aufklärung. Das ist gewissermaßen
Populismus, der nicht hilft, klarer zu sehen, worum es geht: Nämlich
dass diese Bundesregierung alles andere als kopflos schlafwandelt,
sondern einen zielgerichteten und interessengeleiteten Kurs fortsetzt,
der 1990 begann.
Das geht gleich zu Beginn des Textes los. Luik meint, er habe seinen
historischen Optimismus verloren. Er habe seine Zuversicht verloren, „
dass
sich die Menschheit weiterentwickeln werde, langsam, tapsend, aber dass
es letztendlich doch vorangehe mit der Zivilisation, moralisch,
politisch, und dass der Mensch friedlicher werde“. Schuld daran
seien neben arabischen und nordafrikanischen Despoten, islamistischen
Extremisten sowie dem französischen Präsidenten Francois Hollande und
dessen US-Kollegen Barack Obama die deutschen Politikerdarsteller von
Sigmar Gabriel bis Angela Merkel, aber auch der russische Präsident
Wladimir Putin. Hier ist aus meiner Sicht dem verständlich wütenden Luik
das erste Mal zu widersprechen. Der Grund dafür ist in meinem
Text „Wird eine barbarische Schande gestoppt?“ vom 17. November 2015 nachzulesen: „
Russland
unterstützt mit seinem Eingreifen die einzig legitime Seite, die das
Recht hat, gegen den 'Islamischen Staat' und andere ähnliche
Gruppierungen, auch die der vermeintlich gemeäßigten 'Rebellen', Krieg
zu führen: die syrische Führung und die syrische Armee.“ Ich habe
auch darauf hingewiesen, dass das aufgrund eines nach internationalem
Recht gültigen Vertrag zwischen beiden Staaten erfolgt. Auch darauf: „
Leider
dürften Hoffnungen auf eine friedliche Lösung unrealistisch geworden
sein, schon lange, bevor die erste russische Bombe abgeworfen wurde.“
Russland gehörte seit Ausbruch des Konfliktes in Syrien 2011 zu jenen
Kräften, die sich für eine friedliche Lösung eingesetzt haben. Das
führte unter anderem
2012 zu den Verhandlungen in Genf. Eine Lösung schien in Sicht, blieb aber dann aus. Neben anderen fragte
die Islam- und Nahostwissenschaftlerin Karin Kulow in der Zeitschrift Ossietzky, Ausgabe 22/15, warum westliche Politik "
statt
die mit dem 'Genfer Kommunique' (30. Juni 2012) gebotene Chance für
eine politische Lösungssuche zu ergreifen – weiterhin auf einen Regime
Change gesetzt hat". Das hätten inzwischen mehr als 250.000 Menschen mit ihrem Leben bezahlt.
Als Russland im September 2015 begann, aktiv auf Seiten der syrischen
Regierung in den Krieg einzugreifen, protestierten Deutschland, die
USA, Frankreich, Großbritannien, der Türkei, Saudi-Arabien und Katar
dagegen und
warfen Moskau Eskalation vor.
Das taten ausgerechnet jene Staaten bzw. deren Führungen, die von
Beginn an verantwortlich sind für diesen Krieg in Syrien, weil sie alle
möglichen „Rebellen“ unterstützen, auch die islamistischen Extremisten,
für das eine gemeinsame Ziel: Assad muss weg! „
Da haben wir sie ja,
die ganze nette Gesellschaft der Sponsoren des Terrors in Syrien, wie
auf dem Präsentierteller. Es brauchte nur ein paar russische
Luftangriffe, und alles tritt offen zutage.“ Das war dazu
am 2. Oktober 2015 auf dem Blog chartophylakeion tou polemou
zu lesen. Diese Kräfte hatten im Februar 2012 einen russischen
Vorschlag für ein Ende des Konfliktes, zu dem der Assad-Rücktritt
gehört, ignoriert. Das berichtete
laut dem britischen Freitags-Partner The Guardian vom 15. September 2015
der finnische Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Martti
Ahtisaari. Zu erinnern ist auch daran, dass Russland im August 2013 nach
dem mutmaßlichen Giftgas-Einsatz durch „Rebellen“ bei Damaskus dafür
sorgte, dass der vorbereitete westliche Angriff auf Syrien nicht
ausgeführt wurde. Die westlichen Kriegstreiber und ihre arabischen
Verbündeten Heuchler zu nennen, ist angesichts dessen noch der
harmloseste Vorwurf. Ihnen auf ihren Propagandaleim zu gehen, wäre
fahrlässig.
Luik kritisiert deutlich Hollande. Dafür gibt es allen Grund. Aber er beschränkt sich darauf, ihn als „
Wiedergänger
von US-Präsident George W. Bush, dem Erfinder des ‚weltweiten Kriegs
gegen den Terror‘ und Herrn der Irak- und Afghanistankriege“ zu
bezeichnen. Was fehlt, das ist der Hinweis darauf, dass beide nur die
Umsetzer der Interessen der hinter ihnen stehenden Kreise sind und um
welche es sich dabei handelt. Es sind auf keinen Fall die französischen
oder US-amerikanischen Wähler. Im deutschen Fall auch nicht die Wähler
hierzulande. Da erwarte ich etwas mehr von einem gestandenen
Journalisten wie Luik. Das gilt auch, wenn er schreibt, dass die Kriege
des Westens wie in Afghanistan, Irak oder Libyen „
das Gegenteil von
dem brachten, was geplant war: Diktatorische Regime wurden zwar
hinweggefegt, man liquidierte Saddam Hussein, erschoss Bin Laden,
erledigte Gadhafi – das Böse ist tot, aber statt Freiheit und Demokratie
kam die Finsternis, das noch brutalere terroristische Chaos.“
Glaubt Luik etwa die westliche Kriegspropaganda, dass es um Freiheit und
Demokratie gehe? Der folgende Terror samt des vermeintlichen Krieges
gegen diesen ist doch diesen Kriegstreibern nützlich, wenn nicht gar
willkommen. Das nutzt doch nicht nur dem Militärisch-Industriellen
Komplex und sichert billigere Rohstoffpreise, sondern hilft auch bei der
eigenen Machtsicherung. „
Die Bereitschaft, Freiheitsrechte mit dem
Ziel verschärfter Sicherheitsmaßnahmen einzuschränken, steigt nach einem
Anschlag oder vereitelten Anschlag phasenweise deutlich an.“ Das hatte
das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits 2010 festgestellt,
was allerdings alles, bloß nicht überraschend ist. Die Opfer des
Terrors und des Krieges sind jenen, denen es um die eigene Macht und die
Milliardenprofite der hinter ihnen stehenden Kreise geht, egal. Die
verbreitete Angst in Folge des Terrors ist nützlich, nutzt aber den
Terroristen am Ende weniger als jenen, die vorgeben, sie zu bekämpfen.
Vielleicht ist es zu viel verlangt zu erwarten, dass ein
Stern-Autor darauf hinweist.
Planmäßiger Kurs auf Krieg
Luik meint weiter, dass nicht nur „
atemberaubend“ sei, wie
schnell der Kriegseinsatz in Syrien von der Bundesregierung beschlossen
und durch das Parlament gebracht wurde. Das bezieht er auch darauf, „
wie sich das Koordinatensystem hierzulande in Sachen Militäreinsätze in den vergangenen 25 Jahren verändert hat.“
Wer davon überrascht ist, hat in all den Jahren wenig mitbekommen oder
wahrgenommen. Zum Beispiel, dass das "Koordinatensytem" mit Plan bzw.
Strategie verändert wurde. Das ist nachlesbar: 1992 kündigte zum
Beispiel der damalige sogenannte Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU)
bereits den neuen deutschen Weg in den Krieg an, in einem Interview mit
dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel:
"
SPIEGEL: Die Bürger sollen sich eines Tages mit Kampfeinsätzen der Bundeswehr abfinden? RÜHE: Ich glaube, daß man in die Verantwortung hineinwachsen muß. Übrigens strebt niemand Kampfeinsätze an. ...
Aber es wäre verfassungspolitisch nicht in Ordnung, wenn wir das
Grundgesetz ändern und dann nur noch Blauhelm-Einsätze möglich wären.
... Wenn in einer schwierigen internationalen Lage das
Leben der Soldaten aufs Spiel gesetzt wird, brauchen sie nicht nur
ausreichenden Sold. Sie müssen das Gefühl haben, diesen Einsatz für
Deutschland zu vollziehen. Und von daher ist es geboten, bei solchen
Einsätzen einen größeren Konsens zu suchen. ..."
Als ich das
damals, 1992 in einem Sommer-Urlaub in Bulgarien, las, wußte ich, was
Rühe da ankündigt und wohin die "Reise" gehen soll. Soll ich der Einzige
gewesen sein, der das so früh erkannte? Das glaube ich nicht. Der
Zusatz Rühes „
Übrigens strebt niemand Kampfeinsätze an.“ ist nicht nur eine Beruhigungspille gewesen, sondern gewissermaßen eine deutsche Traditionslüge.
Der
Stern-Autor verweist zwar auch auf den Krieg gegen
Jugoslawien 1999 mit deutschen Tornados. Aber er vergisst, dass schon
das ohne Grundlage seitens der UNO erfolgte und meint: „
Jetzt rückt man ganz rasch aus – auch ohne UN-Mandat, man bemüht sich nicht einmal mehr darum.“
Das ist doch auch nichts Neues. Die von Luik ausgemachte historische
Zäsur, die vermeintliche deutsche historisch bedingte
Kriegszurückhaltung aufzugeben, hat Jahre zuvor stattgefunden.
Aber vielleicht weiß der Autor nicht, dass die deutsche Bundesregierung nicht erst jetzt teilnimmt an „
einem neuen Kreuzzug, auf nach Syrien!“ An dem Krieg in und gegen Syrien beteiligt sie sich von Anfang, worauf ich auch schon mehrmals hingewiesen habe, zum Beispiel
am 4. September 2012: „
Sage
niemand, die Bundesrepublik sei nicht am Krieg gegen und in Syrien
beteiligt. Sie lässt mitkämpfen und schaut zu, beobachtet und spioniert,
wie Aasgeier das eben tun, die warten, bis die Beute erlegt ist oder
von selbst aus Schwäche zusammenbricht nach den dauernden Angriffen der
Raubtiere.“ Dazu gehörte die ganze deutsche politische und mediale
Kriegshetze gegen Syrien, ein Land, das der EU vor dem „Arabischen
Frühling“ als möglicher Partner galt und mit dem u.a.
2004 ein Assoziationsabkommen für die geplante „Europa-Mittelmeer-Partnerschaft“ vereinbart
wurde. Als ein Regimechange in Damaskus in Aussicht stand, war die
Bundesregierung in Berlin nicht nur ganz schnell dabei, sich an den
Planungen für eine Zeit ohne Bashar al-Assad zu beteiligen. Und das
gemeinsam mit all jenen Staaten und Kräften, denen Luik zu Recht
vorwirft, islamistische Extremisten bei ihrem Krieg in Syrien zu
unterstützen, mit Geld, Waffen, Ausbildung, logistischer Unterstützung
und offenen Grenzen.
„
Militärisch ist dieser Krieg nicht zu gewinnen“, wiederholt
Luik. Das gilt sicher für den „Krieg gegen den Terror“. Der Krieg in
und gegen Syrien kann wahrscheinlich nur noch militärisch entschieden
werden, wie es derzeit die syrische Armee mit russischer Unterstützung
versucht. Sicher ist, dass sie ihn nicht begonnen hat und einen
Verteidigungskrieg führt, um Syrien zu erhalten. Syrien als Staat zu
zerstören ist nicht nur das Ziel des IS, sondern seit langem auch der
westlichen Kriegsmächte und ihrer arabischen Verbündeten. Ist es zu viel
verlangt, dass das auch von jenen klar gesagt wird, die Nein zum
Bundeswehreinsatz sagen?
Hollande nimmt die EU auch nicht „
in Geiselhaft“, wie der
Stern-Autor behauptet. Der französische Präsident setzt um, was zu den strategischen Szenarien der
EU auch als Militärmacht
seit langem gehört: Notfalls die eigenen Interessen auch militärisch
durchzusetzen und zu sichern. Auch die kritisierte verbale Unterstützung
von Bundespräsident Joachim Gauck für Hollandes Kriegskurs ist doch
alles andere als überraschend. Das hat doch unter anderem
Gauck mit seiner Rede in München im Januar 2014 von der Verantwortung Deutschlands in der Welt selbst angekündigt: „
Wir sind auf dem Weg zu einer Form der Verantwortung, die wir noch nicht eingeübt haben.“ Luik meint, es gehe bei all dem um „
Machtlogik“.
Das greift eindeutig zu kurz. Die Frage ist ja, welche Interessen
hinter der Macht stehen und die diese durchsetzen und sichern helfen
soll. Auch das beantwortet der
Stern-Autor leider nicht. Dabei
ist im deutschen Fall, aber nicht nur in diesem, auch das nachlesbar. So
zum Beispiel in der „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ aus dem Jahr
2011. Das ist übrigens das Jahr, in dem der Krieg in und gegen Syrien
begann. In dem Papier aus dem Bundeskriegsministerium ist zu lesen,
warum die Bundeswehr ihre Tornados auch nach Syrien schickt: „
Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung.“ Als Gauck-Vorgänger
Horst Köhler das 2010, ein Jahr vor dem Papier, öffentlich erklärte,
musste er noch zurücktreten. Heute redet der derzeitige
Bundespräsident, was von ihm erwartet wird und die Bundesregierung
umsetzt. Gauck ist gewissermaßen der Vorredner für Leute wie
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Der übernehme einfach die
Worte des Bundespräsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014
von der deutschen Verantwortung, hieß es
am 25. Februar 2015 im Magazin Cicero. Steinmeier füge nur hinzu: „
‘Dabei
kann zur Absicherung von politischen Lösungen auch der Einsatz
militärischer Mittel geboten oder gar unumgänglich sein.‘ Das müssten
wir Deutschen zwar immer sorgfältig prüfen, ‚aber nicht reflexhaft
ausblenden‘.“
Mittäter statt Schlafwandler
Die NATO erwähnt Luik in seinem
Plädoyer gegen den Kriegseinsatz nur kurz im Zusammenhang mit der Rolle
der Türkei und ihres größenwahnsinnigen Präsidenten Recep Erdogan. Dabei
zeigte dieses vermeintliche Verteidigungsbündnis spätestens 1999 gegen
Jugoslawien, wozu es eigentlich dient: Zum Krieg führen, entweder als
Bündnis oder als logistischer Hintergrund einzelner oder mehrerer
kriegführender Mitgliedsstaaten. Luik weist auf die Rolle der Türkei in
dem Krieg hin, auf deren Unterstützung des IS und des Krieges gegen die
Kurden. Er meint, es sei „
pervers“ solche Verbündeten zu akzeptieren und stellt fest: „
Solange die Täter die besten Geschäftsfreunde sind, gibt es keinen Frieden.“
Das ist an sich richtig. Falsch ist es, wegzulassen, dass die
Bundesregierung von Beginn an selbst Mittäter ist, worauf ich weiter
oben schon hinwies. Zur Erinnerung: "
Deutschland spielt im
Syrien-Konflikt eine weitaus größere Rolle als bislang bekannt. Ein
Spionageschiff der Deutschen Marine kreuzt vor der syrischen Küste.
Dieses sogenannte „Flottendienstboot“ hat modernste Spionagetechnik des
Bundesnachrichtendienstes (BND) an Bord. Damit lassen sich
Truppenbewegungen bis zu 600 Kilometer tief in Syrien beobachten.
Die gewonnenen Erkenntnisse, etwa über militärische Operationen der
Assad-Armee, werden an amerikanische und britische Geheimdienste
weitergegeben. Von dort aus gelangen die Informationen an die syrische
Befreiungsarmee. ..." Das meldete
Bild.de am 19. August 2012. Und zitierte einen BND-Mitarbeiter: „
Wir können stolz darauf sein, welchen wichtigen Beitrag wir zum Sturz des Assad-Regimes leisten.“
Die Bundesregierung ist von Anfang an
Mittäter in dem Krieg, der Syrien zerstört. Das hat sicher etwas mit
den wirtschaftlichen Verbindungen zwischen IS-Paten wie Katar und der
Bundesrepublik zu tun, auf die Luik hinweist. Sie ist
daran mitschuldig, dass ein Land zerstört wurde, das sich u.a. durch eine "
Geschichte des Zusammenlebens über ethnische, konfessionelle und politische Trennlinien hinweg" auszeichnete, wie es der Nahostwissenschaftler V0lker Perthes in seinem Buch "
Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen" 2015 beschrieb. Die "
Anerkennung dieser gesellschaftlichen und konfessionellen Vielgestaltigkeit" sei "
eines der Charaktermerkmale, ja vielleicht ... die Raison d'etre gerade des syrischen Staates" gewesen, so Perthes. Seine Hinweise finde ich interessant, aber auch pikant, ist er doch geschäftsführender Vorsitzender der
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die von der Bundesregierung finanziert wird. Am 26. Juli 2012 berichtete
Die Zeit online: "
Monatelang haben sich Assad-Gegner geheim in Berlin getroffen – mit Wissen und Willen der Bundesregierung. ...Bei
der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat sich seit Januar eine
Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen aller Couleur geheim
getroffen, um Pläne für die Zeit nach Assad zu schmieden. Das geheime
Projekt mit dem Namen "Day After" wird von der SWP in Partnerschaft mit
dem United States Institute of Peace (USIP) organisiert, wie die ZEIT
von Beteiligten erfuhr. Das deutsche Außenministerium und das State
Department helfen mit Geld, Visa und Logistik. Direkte
Regierungsbeteiligung gibt es wohlweislich nicht, damit die Teilnehmer
nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können." An dem Projekt,
das am 28. August 2012 öffentlich vorgestellt wurde,
waren neben Vertretern des größten exilsyrischen Oppositionsbündnisses,
dem Syrischen Nationalrat (SNC), auch Kräfte aus unterschiedlichen
politischen, ethnischen und religiösen Lagern beteiligt. Dazu gehörten
Angehörige der islamistischen Muslimbrüder und der Freien Syrischen
Armee (FSA). Laut
Zeit sei "
der Weg hin zum Sturz Assads
und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer
Interventionen ... bewusst ausgeklammert" worden. "
Das
unweigerliche Ende des Regimes wird schlicht vorausgesetzt, als eine Art
Arbeitshypothese. Darin zeigt sich, dass die Bundesregierung schon viel
länger mit dem Sturz des syrischen Regimes kalkuliert, als Berliner
Diplomaten zugeben können. Und: Deutschland ist sehr viel stärker in die
Vorbereitungen der syrischen Opposition einbezogen, als man bisher
öffentlich erklärte." Mehr als pikant ist es, wenn dann
ausgerechnet Perthes in seinem Buch schreibt, dass der sogenannte
Islamische Staat ua. deshalb "
sehr viel weniger Wirkung entfalten" könnte, "
wenn
die Staaten, auf deren Territorium diese Organisation ihre Herrschaft
auszudehnen versucht, funktioniert und nicht so deutlich dabei versagt
hätten". Ein Ratgeber der am Zerstören Beteiligten wirft den
zertörten Staaten vor, nicht mehr richtig zu funktionieren. Ist das
nicht auch pervers?
Der anvisierte Regimechange in Damaskus ist bis heute nicht geglückt.
Doch er ist nicht aufgegeben. Der neuerliche „Krieg gegen den Terror“
ist nur ein weiteres Etikett dafür. Der IS ist ein Mittel für ganz
andere Ziele, bzw. wird als solches genutzt und gesehen. Ich halte in
dem Zusammenhang für wichtig und auch die vermeintliche oder
theoretische Berliner "Hilflosigkeit" widerlegend, was
Florian Rötzer auf Telepolis am 2.12.15 zur jüngsten NATO-Tagung schrieb: "
...
Statt den Konflikt zwischen Russland und der Türkei zu deeskalieren,
macht Stoltenberg deutlich, dass die Verlegung von Truppen und Gerät in
die Türkei und in das Mittelmeer, angeblich begründet durch die
Bekämpfung des IS, eigentlich vor allem zur Unterstützung der Türkei
dient, … Auch die Entsendung von Kriegsschiffen aus Dänemark und
Deutschland, in Deutschland verkauft als Beitrag zum Kampf gegen den IS,
scheint vor allem dazu zu dienen, die Nato-Präsenz im Mittelmeer gegen
Russland und zur Unterstützung der Türkei zu verstärken: "Das ist alles
wichtig für die Türkei. Es ist Teil der Unterstützungsmaßnahmen für die
Türkei", so Stoltenberg ..."
Stern-Autor Luik warnt davor, dass der Bundeswehr-Einsatz „
das Zeug zum großen Flächenbrand hat“, u.a. weil die USA (von ihm großzügig „
Amerika“ genannt) und Russland mit eigenen Truppen und Waffen auf engstem Raum agierten. Er fragt tatsächlich: „
Wenn eine verirrte russische Rakete einen US-Militärtransporter vom Himmel holt – was dann?“
Während er infolgedessen die Gefahr des 3. Weltkrieges sieht, erwähnt
er aber erstaunlicherweise nicht, dass solch ein Fall schon eintrat, als
das NATO-Land Türkei am 24. November 2015 einen russischen Jagdbomber
vom syrischen Himmel holte. „
Mit dem Abschuss des russischen Bombers
hat die Türkei nach Einschätzung von Russlands Regierungschef Dmitri
Medwedew den Anlass geliefert, einen Krieg zu beginnen“,
berichtete Sputnik am 9. Dezember 2015. Doch Russland habe sich nicht provozieren lassen.
All das scheine die Verantwortlichen in Berlin nicht zu kümmern,
argwöhnt Luik, und sieht sie wie die Politiker von 1914 100 Jahre später
wieder in die Katastrophe schlafwandeln. Das verdient genauso
Widerspruch: Da rücken keine Schlafwandler aus! Da werden Soldaten in
einen weiteren Krieg befohlen von Verantwortlichen, die genau wissen,
was sie tun und einen Plan dafür haben. Ob sie am Ende ihr Ziel
erreichen, das ist eine andere Frage. Die Frage nach den Opfern dieses
Handelns, den eigenen und den fremden, die muss ganz laut gestellt
werden. Die bisherigen und die zukünftigen Opfer des Krieges in und
gegen Syrien, aber auch all der anderen Kriege unter deutscher
Beteiligung, sind für mich ein Hauptgrund, um Nein zu sagen zu diesen
neuen deutschen Kriegseinsatz.
Nein, Luik leistet keinen Beitrag zur
Aufklärung über die wahren Gründe für den Kriegseinsatz der Bundeswehr
in Syrien. Er bleibt mit der Begründung für sein Nein leider genau in
dem Nebel, der von hiesigen Politikdarstellern und ihren medialen
Lakaien bewusst und leider erfolgreich verbreitet wird.
Zum Schluss sei nochmal auf das
Heft 22/2015 der Zeitschrift Ossietzky
hingewiesen, das mit seinen Beiträgen zum Krieg in und gegen Syrien im
Gegensatz zu Luiks Text tatsächlich Aufklärung und Argumente für das
Nein zum Bundeswehreinsatz in Syrien bietet.
"... Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln ist unverändert unwahrscheinlich. Das strategische Sicherheitsumfeld hat sich in den letzten Jahren weiter verändert. Zu den Folgen der Globalisierung zählen Machtverschiebungen zwischen Staaten und Staatengruppen sowie der Aufstieg neuer Regionalmächte. Risiken und Bedrohungen entstehen heute vor allem aus zerfallenden und zerfallenen Staaten, aus dem Wirken des internationalen Terrorismus, terroristischen und diktatorischen Regimen, Umbrüchen bei deren Zerfall, kriminellen Netzwerken, aus Klima- und Umweltkatastrophen, Migrationsentwicklungen, aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen wie der Informationstechnik. ...
Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet. Verknappungen von Energieträgern und anderer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangsbeschränkungen können konfliktauslösend wirken. Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und Warenströme, z.B. durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar. Deshalb werden Transport- und Energiesicherheit und damit verbundene Fragen künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen. ..."
Die Bundeswehr muss also bei diesem Krieg in und gegen Syrien dabei sein. Das ist ihr Auftrag in diesem Krieg um Rohstoffzugang und -lieferung.