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Freitag, 25. Oktober 2013

Die NSA darf Angela Merkel abhören

Angesichts der Aufregung um das mutmaßlich von US-Geheimdiensten ausgespähte Parteihandy der Bundeskanzlerin muss an Erkenntnisse eines Historikers erinnert werden.

Der Historiker Josef Foschepoth hatte 2012 mit seinem Buch "Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik" auf die Grundlagen dessen aufmerksam gemacht, was durch die Enthüllungen von Edward Snowden über die Bespitzelung der Kommunikation in der Bundesrepublik durch US-Geheimdienste bekannt wurde. In einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 29.10.12 fasst der Historiker das so zusammen: "Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden jährlich Millionen von Postsendungen kontrolliert, geöffnet, beschlagnahmt, vernichtet oder zurück in den Postverkehr gegeben. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Besatzungsmächten und späteren Alliierten, aber auch von den Westdeutschen selbst zu nachrichtendienstlichen beziehungsweise strafrechtlichen Zwecken ausgewertet und genutzt."

Der Beitrag machte auf die Grundlage für die heutige US-Schnüffelei aufmerksam: "Millionenfache Schnüffelei im demokratischen Westdeutschland? ... Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Konrad Adenauer ein, der erste Kanzler der Bundesrepublik. Der Rheinländer trieb die Einbindung der BRD ins westliche Bündnissystem voran, er kämpfte für ihre Souveränität. Was bisher aber kaum bekannt war: Adenauer zahlte für diese Souveränität einen hohen Preis. Denn die Siegermächte wollten keineswegs auf alle Sonderrechte, die sogenannten Vorbehaltsrechte verzichten. Dazu gehörten so bekannte, wie etwa das Recht, Truppen in Westdeutschland zu stationieren, aber eben auch eher unbekannte wie der Geheimdienstvorbehalt oder der Überwachungsvorbehalt.
Letztere erlaubten den Alliierten auch weiterhin, am Grundgesetz vorbei tief in die Grundrechte einzugreifen. Um zu vermeiden, dass die deutsche Öffentlichkeit von diesen brisanten Zugeständnissen erfuhr, verhinderte Adenauer, dass der Überwachungsvorbehalt im offiziellen Vertragstext des 'Deutschlandvertrages' von 1955 auftauchte. Er schlug ein einseitiges Schreiben der Noch-Besatzungsmächte an die deutsche Bundesregierung vor, das diese Rechte festschreiben sollten:
'Ich habe die Geheimprotokolle gesehen und sehe dann, wie Adenauer Wort für Wort den Text dieses Briefes mit den Alliierten abstimmt. Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wirkt also mit den fremden Mächten an einer Umgehung der Verfassung aktiv mit, die dauerhaft das erlaubt, was die Verfassung nicht erlaubt.'
Nämlich die Überwachung der Telefone, der Briefe, der Pakete in der Bundesrepublik ohne gesetzliche Regelung - eine solche erfolgte erst 13 Jahre später, zusammen mit den umstrittenen Notstandsgesetzen von 1968."

3sat berichtete in der Kulturzeit am 19. November 2012 ebenfalls darüber: "Die Sonderrechte der Alliierten, so sagt Foschepoth, gelten übrigens immer noch. Nur dass heute niemand mehr Briefe öffnen muss, E-Mails sind viel leichter zu knacken." Markus Kompa hatte sich am 19. Juni dieses Jahres auf Telepolis ebenfalls dazu geäußert: "Geheimverträge mit den westlichen Siegermächten zur Überwachung sind bis heute in Kraft". Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, veröffentlicht am 9. Juli, sagte Foschepoth: "Die NSA darf in Deutschland alles machen. Nicht nur aufgrund der Rechtslage, sondern vor allem aufgrund der intensiven Zusammenarbeit der Dienste, die schließlich immer gewollt war und in welchen Ausmaßen auch immer politisch hingenommen wurde."

Die NSA hat deutsche Politiker schon immer ganz legal oberserviert, erklärte er wieder im Interview, das Zeit online am 25. Oktober veröffentlichte. Foschepoth ist danach ebensowenig wie ich über die neuesten Nachrichten überrascht, dass auch Angela Merkel ins NSA-Visier geriet. "Es gibt Verträge zwischen Deutschland und den ehemaligen Alliierten, die eine solche Überwachung erlauben. Da steht natürlich nicht drin, dass die Amerikaner die Kanzlerin abhören dürfen, aber auch nicht, dass sie das nicht dürfen. Ein Geheimdienst, der Interessantes erfahren will, observiert natürlich die Topleute. Daher ist völlig klar, dass die Kanzlerin wie andere führende Personen in Politik und Wirtschaft überwacht werden." Der Historiker bezeichnet Merkels Reaktion auf die Nachricht, dass auch sie vermutlich abgehört wurde, als "ein bisschen Heuchelei". Sie müsste als Kanzlerin von den zugrundeliegenden Vereinbarungen wissen und über die Zusammenarbeit der Dienste informiert sein, so Foschepoth. "Ich selber habe in den Geheimarchiven der Regierung geforscht. Da findet man das alles. Sie müsste einfach nur mal in den Keller ihres Kanzleramtes gehen oder mein Buch lesen."
Der Historiker erinnerte auch daran, dass die SPD schon immer mit dabei war, wenn es um das Ausspähen ging: "Ja, alle Regierungen haben mitgemacht. Der große Sündenfall geschah 1968. Damals hat die erste Große Koalition das Grundgesetz geändert und durch das G-10-Gesetz Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis erlaubt. Grundlage dafür waren Forderungen der Alliierten, dass sich an ihrem Recht auf Überwachung nichts ändern dürfe." In der Folge seien auch alle Kontrollmöglichkeiten verhindert worden. Foschepoth fordert als Konsequenz, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern, doch er ist skeptisch, ob das geschieht: "Die Große Koalition hat das damals eingeführt. Es ist zu befürchten, dass sie daran trotz der Aufregung über die Observation der Kanzlerin nichts ändern wird."

Nachtrag: In Heft 4/2013 der Zeitschrift Hintergrund ist ebenfalls ein Interview mit dem Historiker Josef Foschepoth zu lesen: "Wenn die Bundeskanzlerin sagt, auf deutschem Boden gelte deutsches Recht, dann klingt das so, als würde deutsches Recht die Deutschen vor alliierter Überwachung schützen. Das ist aber nicht der Fall. Die alliierten Interessen sind längst in deutschem Recht verankert. Das haben alle Bundesregierungen bisher akzeptiert. Die vor der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang getroffenen Vereinbarungen gelten bis heute. Grundlage für die Stationierung von NATO-Truppen war und ist der Aufenthaltsvertrag von 1954. Seit dem Eintritt in die NATO gelten zusätzlich der NATO-Vertrag von 1951 und seit 1959 bzw. 1963 das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut. In all diesen Vereinbarungen verpflichten sich beide Seiten zu engster Zusammenarbeit auf geheimdienstlichem Gebiet, zum Austausch aller Informationen und Erkenntnisse und zu strikter Geheimhaltung. Einzelheiten wurden stets in geheimen Abkommen vereinbart, wie auch das „Memorandum of Agreement“ vom 28. April 2002 zeigt, das die Zusammenarbeit von BND und NSA in Bad Aibling regelt.
Wenn in derartigen Abkommen vom „Schutz der Sicherheit der alliierten Truppen“ die Rede ist, empfindet niemand Böses dabei. Aufgrund meiner Forschungen wissen wir jedoch, dass mit einer solchen Formulierung stets die geheimdienstliche Tätigkeit der Alliierten gemeint ist, die auf dem Boden der Bundesrepublik ihre Truppen stationiert haben. Anders formuliert: Solange es amerikanische Truppen oder militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik gibt, wird es auch amerikanische Überwachungsmaßnahmen zum „Schutz der amerikanischen Truppen“ geben. Und niemand kann und will kontrollieren, wie das geschieht. ...
Man kann den NSA-Skandal in Deutschland nur verstehen, wenn man weiß, wie sich über sechzig Jahre ein im Geheimen operierender deutsch-alliierter nachrichtendienstlicher Komplex entwickelt hat, der machtvoller ist als die jeweilige Exekutive und erst recht als die Legislative und Judikative. Die Exekutive ist mehr oder weniger zu einer Verschworenen der Geheimdienste geworden. Das Interesse an einer wirksamen Kontrolle tendiert fast gegen null. Nur in Zeiten öffentlicher Erregung ändert sich das ein wenig."

Die Dokumente, auf die sich Foschepoth in den Interviews bezieht, sind in seinem Buch in der Quellendokumentation ab Seite 274 zu finden (2. Auflage).

Ein interessanter Aspekt: "Die Alliierten haben der deutschen Wiedervereinigung nur zugestimmt, weil sich Deutschland verpflichtete, bestimmte Rechte seiner Souveränität nicht wahrzunehmen. Daher konnten die Geheimdienste der USA und Großbritanniens in Deutschland ungehindert und legal weiterspionieren. Ohne dieses Zugeständnis hätte die damalige britische Premierministerin Thatcher die deutsche Einheit vermutlich verhindert.
... Die Amerikaner haben sich die Wiedervereinigung mit der Weiterführung der alliierten Vorbehaltsrechte bezahlen lassen, sagte der Geheimdienst-Experte und Buchautor Erich Schmidt-Eenboom den Deutschen Wirtschafts Nachrichten." (Deutsche Wirtschafts-Nachrichten, 10.7.13)

aktualisiert: 30.10.13; 13:49 Uhr

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