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Mittwoch, 15. Mai 2013

Vom Nutzen der Krise in Europa

Erst sorgen wir für ihre Armut, dann locken wir sie zum arbeiten zu uns – ein mögliches Fazit angesichts der Krisen-Politik der Bundesregierung in der EU.

"Merkel wirbt um Arbeitskräfte aus Euro-Krisenländern", meldet die FAZ, online am 14. Mai 2013, gedruckt am heutigen 15. Mai. Die sind in Folge der Krise auch deutlich billiger geworden als deutsche Arbeitskräfte. Deutschland biete gute Bedingungen für Zuwanderer, habe aber einen schlechten Ruf, beklagte Merkel dem Bericht zufolge auf dem "Demographiegipfel" am 14. Mai 2013.

"Sollte das Euro-Abenteuer am Ende gut ausgehen, dann gäbe es einen eindeutigen Gewinner: den deutschen Staat." Das stellte die WirtschaftsWoche vorsichtig am 9. Oktober 2012 fest. Griechenland, Spanien, Portugal und den anderen von der Krise am meisten betroffenen Ländern hat das "Abenteuer" wachsende soziale Probleme gebracht. Dazu trägt die angebliche Anti-Krisen-Politik der "Troika" und der Bundesregierung bei, die den schwachen Ländern Sparprogramme verordnet, die sie noch mehr schwächen. "Deutschland saniert sich auf Kosten seiner Nachbarn", titelte Cicero am 21. Januar 2013 und stellte fest: "Finanziell, wirtschaftlich und sogar demographisch profitierte Deutschland von der schwersten Krise seit Gründung der Währungsunion."

Zu den Folgen gehört u.a., was die Süddeutsche Zeitung am 27. Juli 2012 meldete: "Mehr als 5,7 Millionen Menschen sind in Spanien ohne Job. Von den Jugendlichen unter 25 Jahre haben deutlich mehr als die Hälfte keine Arbeit, bezogen auf den gesamten Arbeitsmarkt sind es fast 25 Prozent." "Die fortschreitende Arbeitslosigkeit, die Verarmung und die gesellschaftliche Ausgrenzung nehmen ein erschreckendes Ausmaß an", berichtete Ignacio Sánchez-Cuenca in einem von presseurop.de übersetzten Text vom 6. Mai 2013. "Es gibt bereits Kinder, die unter Fehlernährung leiden. Tausende von Familien wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Die Löhne und Gehälter sinken, während die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen." Der Autor meint: "Es mag brutal klingen, aber die Europäische Union und die spanische Regierung scheinen die Ansicht zu vertreten, dass die Krise nur gelöst werden kann, wenn die meisten Spanier in Armut versinken."

Zwar wurde am 8. April 2013 gewarnt: "Laut einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat die Wirtschafts- und Währungskrise die Gefahr für soziale Unruhen in den Mittelmeerstaaten Zypern, Griechenland, Spanien und Italien erhöht." Inzwischen gebe es in der EU zehn Millionen mehr Arbeitslose als vor Ausbruch der Krise. "Besonders stark betroffen sind junge und gering qualifizierte Arbeitnehmer", stellt die Organisation fest. Hinzu kam eine andere Studie, der zu Folge die Eurokrise auch Todesopfer fordert, über die die Medien am 27. März 2013 berichteten: "Menschen, die keinen anderen Ausweg mehr sehen und sich das Leben nehmen; Kranke, die sich die Spitalskosten nicht mehr leisten können und ihr Leben riskieren müssen".

"Und dennoch steigen die Spanier nicht auf die Barrikaden", stellt zum Beispiel Sánchez-Cuenca fest. Ein Bericht der Deutschen Welle vom 30. November 2012 zeigt die tatsächlichen Reaktionen: "Viele junge Spanier kehren dem Land nun den Rücken. Vor allem bei ambitionierten Ingenieuren gilt Deutschland als El Dorado." Der Mangel an Perspektiven vertreibe viele Spanier aus ihrem Land, so die Süddeutsche online am 20. April 2012. "Immer mehr landen in Deutschland, wie Mariola und Jordi", wird über zwei konkrete Beispiele berichtet. "In den vergangenen Jahrzehnten investierte Portugal massiv in Hochschulen und Erziehung", hieß es in einem Bericht von Euronews vom 8. Dezember 2011 aus dem Nachbarland Spaniens. "Doch aufgrund der Krise kann das Land die begabten Nachwuchskräfte nicht mehr halten." "Portugal lässt seine Zukunft ziehen", fasst der Titel des Berichts zusammen. Wissenschaftler würden vor den Folgen warnen: Portugal sei auf dem Weg ins wirtschaftliche Abseits.

"Deutlich feststellbar ist jedenfalls, dass in Deutschland immer mehr Arbeitnehmer aus Spanien, Griechenland, Portugal oder der Slowakei ankommen: aus jenen EU-Ländern, die von Krise und Arbeitslosigkeit besonders schwer betroffen sind.", stellte die Deutsche Welle fest. Die bundesdeutsche Wirtschaft freut sich, klagt sie doch über "Fachkräftemangel". Da kommen die jungen, gut ausgebildeten Fachkräfte aus den Krisenländern anscheinend gerade richtig. Dabei ist der angebliche Mangel ist eine "Fata Morgana", worauf unter anderem Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin schon mehrfach hinwies, so 2010, erneut 2011, ebenso 2012. Für ein generell knappes Arbeitskräfteangebot ließen sich "keine Belege finden", erklärte Benke 2010. Und benannte eines der tatsächlichen Probleme: Die Löhne für Fachkräfte seien kaum gestiegen, zudem sei die Zahl der Arbeitslosen mit Qualifizierung größer als die Zahl der offenen Stellen. Statistiker Gerd Bosbach erklärte im Report-Beitrag "Die Legende vom heiß begehrten Ingenieur" vom 10. Juli 2012: Hätten die deutschen Unternehmen "tatsächlich Ingenieurmangel, dann würden die sich ganz anders um Bewerber kümmern. Sie würden ihnen Dauerstellen anbieten. Sie würden ihnen gute Löhne anbieten. Und alle diese Faktoren kann ich leider nicht beobachten." In einer Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration wurde dagegen 2009 schon festgestellt, dass seit 2003 rund 180.000 Fachkräfte Deutschland verlassen haben, berichtete u.a. Spiegel online am 26. Mai 2009. Ein Jahr später wurde das gleiche Ergebnis verkündet. Zu den Hauptmotiven der auswandernden Fachkräfte gehöre u.a. der Wunsch nach höheren Einkommen, so die Süddeutsche online am 17. Mai 2010.

Aber auch zu hohe Steuern und zuviel Bürokratie beklagen danach gerade jene mit hohen Abschlüssen, wie Ärzte und Ingenieure. Das gilt vielleicht für beruflich etablierte Fachkräfte. Im erwähnten Report-Bericht stellt Hermann Biehler vom IMU-Institut München fest: „Ich sehe die Entwicklung dahingehend, dass junge Ingenieure zwischen schlechter Beschäftigung und zwischen Arbeitslosigkeit erstmal wählen müssen.“ Bei den angeblich so gefragten Nachwuchskräften würden befristete Verträge und Zeitarbeit boomen. "Die erfahrene Ingenieurin Tanja Mett-Bialas würde sich schon über einen Job bei einem Dienstleister freuen – und auch Helmut Rasch wäre lieber Zeitarbeiter als Hartz IV-Empfänger." Ein weiteres Motiv für einen Wegzug könne aber auch die mangelnde Anerkennung und zu hohe Belastung sein, zitierte der Tagesspiegel am 4. August 2010 Eberhard Jüttner, den damaligen Vorsitzenden des Paritätischen Gesamtverbands. Jüttner verwies auf die Situation des Pflege-Personals: "Jedes Jahr verlassen zig ausgebildete Pflegekräfte Deutschland, um in Skandinavien, Österreich oder der Schweiz zu arbeiten, was den Pflegenotstand in Deutschland verschärft. ... Die Leute gehen, weil die Akzeptanz für ihre Beschäftigung in diesen Ländern schlicht viel höher und die Belastung wegen größerer Personalschlüssel nicht so gewaltig ist."

Den vielfach beklagten Fachkräftemangel hält DIW-Forscher Brenke eher für einen Mangel an billigen und hochflexiblen Fachkräften, die jederzeit austauschbar sind, erklärte er 2012 in einem Interview. Da sind die gut ausgebildetenen jungen Fachkräfte aus den Krisenländern hochwillkommen, sind sie doch verständlicherweise bereit für eine Perspektive im Vergleich zu deutschen Fachkräften weniger Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. So müssen dann die deutschen Unternehmen auch solche Forderungen wie nach einem gesetzlichen Mindestlohn in der Bundesrepublik für alle Branchen und in gleicher Höhe für Ost und West nicht so ernst nehmen. Die Bundesregierung kann Kritik wie die von der ILO, die Eurostaaten hätten zu großen Wert auf die Sanierung ihrer Budgets gelegt und dabei die soziale Komponente vernachlässigt, ignorieren, eben so die Forderung der UNO-Organisation nach einer Beschäftigungsgarantie für junge Menschen. Sie kann stattdessen gönnerhaft zeigen, was sie für diejenigen tut, die unter der von ihr in der EU durchgesetzten Sparpolitik leiden, wie sie ihnen eine Perspektive in der Bundesrepublik bietet – wenn sie jung, gut ausgebildet, flexibel und (selbst)ausbeutungswillig sind.

Welche "guten Bedingungen", von denen Merkel sprach, zum Beispiel spanische Fachkräfte vorfinden, beschrieb eine Reportage von Johannes Kulms auf DeutschlandRadio Kultur am 11. April 2013. Sebastian Gonzales wurde vorgestellt, einer von 14 spanischen Fachkräften, die seit Februar in Südthüringen leben und für sechs Monate auf Probe in Industriefirmen und der Gastronomie arbeiten. Das sogenannte Spanien-Projekt habe die Industrie- und Handelskammer von Suhl ins Leben gerufen. "1000 Euro brutto schreibt das IHK-Projekt als Mindestbezahlung vor." Gonzales habe in Spanien als Einrichter vor der Krise monatlich rund 4.000 Euro verdient, in Thüringen bekomme er etwa 1.400 Euro brutto monatlich. Seine neue Thüringer Firmenchefin gibt sich in der Reportage großzügig: "Wir haben ihn jetzt so eingestellt, wie wir jeden anfänglichen Einrichter einstellen würden. Also, mit einem Grundlohn von 8,50. Und ich denke schon, dass wenn er sich gut macht, nach oben wachsen kann. Aber in den ersten sechs Monaten mit Sicherheit nicht." Der Spanier ist froh: "In Spanien ist es jetzt schon etwas besonderes, überhaupt Arbeit zu haben. Wie viel man da verdient, ist gar nicht der Rede wert. Meinen früheren Kollegen aus Barcelona wurden die Löhne binnen mehrerer Jahre um 25 Prozent gesenkt."

Nereida Ruiz, die der Reportage nach wie Gonzalez nach Thüringen kam, arbeite im Servicebereich eines Hotels in der Nähe von Suhl. Sie sagt: "Ich bin ja nicht die einzige Spanierin, die nach Deutschland geht. Ich finde es selbstverständlich, dass in einer europäischen Union das eine stärkere Land dem schwächeren hilft. Wer sagt denn, dass es morgen nicht genau umgekehrt sein könnte?" Und so sieht es aus, als habe doch noch jeder etwas von der Krise ...

Nachtrag vom 1.6.13: "... Ich sage nicht, dass Deutschland nicht profitiert hat. Allerdings ging das Wachstum auf Kosten der anderen europäischen Länder. Deutschland hat die anderen an die Wand gedrückt.
Deutschland soll also schuld sein an der Euro-Krise. Ist das nicht etwas verkürzt?
Nicht allein, aber zu einem erheblichen Teil. Deutschland hat ein völlig absurdes Wirtschaftsmodell. Die Haushalte sparen, der Staat spart, die Unternehmen sparen - alle sparen. Nur: Wenn auf der einen Seite gespart wird, muss sich jemand auf der anderen Seite verschulden. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die anderen europäischen Länder bei uns verschuldet. Doch dieses Modell ist jetzt gescheitert. ..."
Heiner Flassbeck im Interview mit dem Handelsblatt am 29.5.13

Nachtrag vom 5.6.13: "Ausländische Berufseinsteiger verdienen nur knapp zwei Drittel des Durchschnittslohnes der deutschen Arbeitnehmer, sagte ein Sprecher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) an der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Nach acht Jahren hätten die ausländischen Arbeitnehmer dann knapp drei Viertel des 'deutschen' Durchschnittslohnes erreicht, so das Ergebnis einer Studie des IAB." (Bayrischer Rundfunk - Regionalnachrichten Franken, 9.1.2013)

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