Bitte beachten:

Mit deutsch- und volkstümelndem sowie rechtsextremem und faschistischem Gedankengut habe ich nichts am Hut und nichts zu tun!

Freitag, 25. Januar 2013

Soros bestätigt: Die Krise ist gewollt

Der Finanzspekulant George Soros hat in Davos gesagt, dass jene die Krise aufrecht erhalten, die davon profitieren. Dabei sieht er die Bundesrepublik an erster Stelle.
In meinem Text "Wenn die Demokratie dem Profit im Wege steht" habe ich u.a. geschrieben, "dass das, was wir als 'Finanzkrise' erleben und in seinen Folgen erleiden, nur zum Teil Folge des Handelns anscheinend Blinder ist, wie Žižek meint, sondern Ergebnis ganz bewußten Handelns und Inkaufnehmens der Folgen für die Gesellschaft". Entsprechend habe ich gewissermaßen elektrisiert reagiert, als ich heute direkt aus Davos erfuhr, dass Finanzspekulant Soros beim dortigen World Economic Forum (WEF) gesagt haben soll, dass er den Eindruck habe, dass die Finanzkrise gezielt aufrecht erhalten wird, um Staaten wie Griechenland auf Dritteweltniveau zu drücken und so die Gewinne der Krisennutznießer wie der Bundesrepublik zu sichern, ebenso deren Vorherrschaft in Europa.
Es hat etwas gedauert, ehe ich eine Bestätigung für diese Information fand. Deutschsprachige Medien meldeten hauptsächlich nur, Soros habe vor einem Währungskrieg gewarnt. Immerhin schrieb das Handelsblatt, Soros halte die deutsche Sparpolitik für gefährlich, weil diese zu einem internationalen Abwertungswettlauf führe. Die Meldungen berufen sich auf ein Gespräch des Spekulanten mit dem US-Sender CNBC am 24. Januar 2013. Auf der Website des Senders ist mehr von dem zu lesen, was Soros sagte, auch der Hinweis auf die bewußt aufrechterhaltene, weil nützliche Krise. Durch diese sei ein Zwei-Klassen-System innerhalb der Euro-Zone, zwischen den Gläubigern und Schuldnern, entstanden. Und die Gläubiger seien dafür verantwortlich: "Es ist im Grunde Deutschland". Die fortgesetzte Sparpolitik, die von der Bundesregierung betrieben und durchgesetzt werde, sei kontraproduktiv, so Soros. Das sei die "Verewigung der Finanzkrise". Bundeskanzlerin Angela Merkel folge einer "falschen Politik", wenn sie mit weiterem Sparkurs auf die Folgen der eigenen Austeritätspolitik reagiere. Das zwinge die betroffenen Länder zu weiteren Kürzungen, welche deren Wirtschaft weiter schrumpfen ließen. Damit werde das Auseinanderdriften zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern festgeschrieben. Letztere blieben gleichzeitig abhängig, weil sie die Kredite zurückzahlen müssen. Soros meint, dass die nächsten zwei Jahre schwierig, "sehr heikel" werden können. "Wenn die Europäische Union das überlebt, dann hält sie lange. Aber nicht für immer. Weil ich nicht denke, dass Europa politisch mit einer Situation leben kann, wo es ein Zentrum gibt (nämlich Deutschland) und die Länder wie Italien und Spanien zu fortwährender Minderwertigkeit verurteilt werden."Der Spekulant, der schon die Bank of England und ganze Staaten in die Knie zwang, sieht als "größte Gefahr", dass es zu einem Währungskrieg kommt. "Weil der Rest der Welt einem anderem Rezept als dem der Deutschen folgt." Die Deutschen glaubten an die strenge Sparpolitik, während die anderen Länder an expansive Geldpolitik als Mittel gegen die Krise glaubten, Geld auf die Märkte brächten, um so eine Depression zu vermeiden. Dass Merkel bei all dem nur eine Ausführende ist, auch das hat Soros in Davos bestätigt: "Sie sei 'eine brillante Politikerin', aber sie habe nicht wirklich eine Meinung, fügt er dann an und lächelt ein wenig."

Ich bin sicher kein Freund oder gar Fan des Milliardenspekulanten, der auch schon manchen Versuch eines Regimechange in Ländern wie Serbien, Georgien, auch in Russland und anderswo über seine Stiftung mitfinanziert hat und mitfinanziert. Aber ich halte seine Äußerungen für bedenkenswert, eben wenn es um die Frage geht, um was es sich bei dem handelt, was uns von der herrschenden Politik und den ihr dienenden Mainstream-Medien als "Krise", auf die nicht anders reagiert werden könne als mit einem strikten Sparkurs, dargestellt wird. Aus meiner Sicht bestätigt Soros, der ja weiß, wie sowas funktioniert, was ich schon an anderer Stelle zum Thema schrieb und worauf ich hinwies, siehe u.a. "Wzbw: Der Euro als deutsches Projekt", "Gegen die Diktatur der Finanzmärkte" und "Drei Fragen". Dazu passt auch, worauf ich mit "Europas Mauer und der ökonomische Putsch" und mit einem "Fundstück" aufmerksam machte. Es geht mir dabei nicht um Eigenlob oder so etwas, sondern um die Bestätigung der Argumente und Fakten.
Passendes war am heutigen 25. Januar 2013 auch bei den NachDenkSeiten zu lesen. Jens Berger schrieb zu "Merkels Agenda des Schreckens": "Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos redete die Kanzlerin endlich einmal Klartext und stellte die Grundzüge ihrer Agenda für Europa vor. Die Kanzlerin hat nichts, aber auch gar nichts, verstanden und will nun die Gunst der Stunde nutzen, um Europa bereits in diesem Jahr von Grund auf umzukrempeln. Durch die Blume gab sie dabei auch zu, dass ihr die Eurokrise keineswegs ungelegen kommt, um ganz Europa einer neoliberalen Agenda zu unterwerfen." Berger unterzieht sich der Mühe, Merkels Rede zu analysieren. Sein Fazit: Um ihre Ziele umzusetzen, spiele die Bundeskanzlerin "Hand in Hand mit der Europäischen Kommission". "Wer soll sich da denn noch wundern, wenn die Europäer europamüde werden? Ein Europa, das nur dazu dient, die Demokratie, Souveränität und Mitbestimmung der Europäer auszuhebeln, hat keine Zukunft und auch keine Daseinsberechtigung. Wollen die Europäer Europa und den europäischen Gedanken retten, müssen sie sich von diesem Missbrauch befreien. Sie müssen Merkel die Stirn bieten. Es ist an der Zeit, trotz alledem!" Ich stimme Berger zu, bleibe aber skeptisch, ob der Widerstand in der notwendigen Stärke entsteht und den Kurs von Merkel & Co. stoppen kann. Zugleich hoffe ich, dass meine Zweifel widerlegt werden.

PS: Falls sich jemand dafür interessiert, was George Soros am 26. Januar 2013 in Davos zwischen 10.15 und 10.45 Uhr bei einer Veranstaltung sagte, kann das hier auf der Website des WEF nachschauen.

Nachtrag vom 26.1.2013:
Am selben Tag, an dem Soros über die Krise sprach und vor den Folgen warnte, wurde der Jahresbericht der "Arbeitsgruppe europäischer WirtschaftswissenschaftlerInnen für eine andere Wirtschaftspolitik in Europa" (EuroMemorandum) vorgestellt. Darin ist manches zu finden, worauf auch Soros aufmerksam machte: "Die Krise, die ihren Anfang im Jahr 2007 nahm und sich 2008 in drastischer Weise verschärfte, hat tiefgreifende Zerwürfnisse in der Architektur der Europäischen Währungsunion freigelegt. Strenge Sparkurse, die zunächst den Ländern in Osteuropa und anschließend den Peripherieländern der Eurozone auferlegt wurden, werden jetzt auch in den Kernländern der Europäischen Union umgesetzt. ... Gleichzeitig hat sich die Position der nördlichen Kernländer – insbesondere die Position Deutschlands – im Hinblick auf die Peripherieländer verstärkt. ...
Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise wurden innerhalb der EU umfangreiche Regierungsänderungen eingeführt ... Der gemeinsame Tenor dieser Änderungen besteht darin, die wirtschaftlich schwächeren Länder unter ein umfangreiches System der Bevormundung zu stellen und unablässig auf Kürzung ihrer Ausgaben, Aushöhlung der Beschäftigungsstandards und Privatisierung von Staatsvermögen zu drängen.
Für diejenigen Mitgliedsstaaten, die Finanzhilfen erhalten haben, fallen die Kontrollen und Beschränkungen noch drastischer aus und nehmen im Fall von Griechenland geradezu koloniale Ausmaße an. ... Die Sparprogramme zerstören die Leben von Millionen EuropäerInnen, insbesondere in den südlichen und östlichen Peripherieländern. Die offizielle Arbeitslosenquote in der EU lag 2012 bei 10,6 %, in Spanien und Griechenland betrug sie jedoch 25 %, und während die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen in der EU bei 22,7 % lag, betrug diese in Spanien und Griechenland über 50 %. ...
In den Mittelmeerstaaten (Griechenland, Spanien und Portugal) folgte auf den EU-Beitritt eine teilweise Deindustrialisierung, da den Regierungen die Möglichkeit genommen wurde, eine nationale Industriepolitik zu verfolgen. Nach der Einführung des Euro wurde ihnen außerdem die Möglichkeit genommen, die einheimische Industrie durch Abwertungen zu schützen. ..."
Das zeigt, dass Soros' Aussagen nicht neu sind vom Inhalt her. Interresant ist und bleibt, dass er auch Solches sagt, was ihm schon die Denunziation als "linksradikaler Spekulant" eingebracht hat.

Nachtrag vom 29.1.2013:
Da hat doch der Wolfgang Schäuble im Dezember 2012 etwas gesagt, was sein Vorgänger Theo Waigel schon 1996 aufschrieben ließ: "„Ohne Krise bewegt sich nichts“ (Schäuble, FAZ, 22.12.12)
In dem Strategiepapier des Bundesfinanzministeriums unter Theo Waigel (CSU) mit dem Titel »Finanzpolitik 2000« aus dem Jahr 1996 ist auf Seite 43 dieses Papiers ist zu lesen, dass Sparmaßnahmen »politisch noch am leichtesten in einer Phase der wirtschaftlichen Bedrohung durchzusetzen« seien. (siehe hier)
Passt doch.

Donnerstag, 24. Januar 2013

Demokratie steht dem Profit im Weg

In einem lesens- und bedenkenswerten Beitrag hat Slavoj Žižek im Guardian über den Demokratieverlust in Folge der Finanzkrise geschrieben. Bei freitag.de ist der Text auf deutsch zu lesen.

Das vom slowenischen Philosophen Beschriebene macht meiner Meinung nach ein weiteres Mal deutlich, dass die beste Freundin des Profits die Diktatur ist. Das ist sicher sehr zugespitzt, aber aus meiner Sicht der Kern der beschriebenen Entwicklung. Daran ist auch aufgrund der Tatsache zu erinnern, dass sich in ein paar Tagen die Machtübergabe an Adolf Hitler zum 80. Mal jährt. Wir werden sicher sehr viel zu hören und zu sehen bekommen von der Legende der "Machtergreifung", um von dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus, von der Verbindung zwischen Profit und Diktatur abgelenkt zu werden. Letzendlich ist die Rampe von Auschwitz, wo SS-Männer per Daumen entschieden, wer noch nützlich ist als Arbeitskraft oder wer gleich vernichtet wird weil "unnütz", die brutalste Zuspitzung des Profitprinzips, des kapitalistischen Verwertungsprinzips, bei dem der Mensch nur als Arbeitskraft nützlich ist (siehe auch Michael Ewerts Buch "Blinde Flecken. Auschwitz und die Verherrlichung des Mechanischen"). Ist er das nicht, ist er überflüssig. Insofern war die faschistische Ideologie mit ihrem menschenvernichtenden Rassismus und Antisemitismus nur nützliches Instrument. Wäre sie das nicht gewesen, hätten die deutschen Faschisten nicht die Unterstützung durch die führenden Kräfte des deutschen Kapitals bekommen, die sie bekamen und die ihre zwölfjährige Diktatur ermöglichte. Der dazugehörige und mitbegründende Antikommunismus blieb auch nach 1945 nützlich. Aber ich schweife ab, Entschuldigung.

Dazu gehört natürlich, dass das, was wir als "Finanzkrise" erleben und in seinen Folgen erleiden, nur zum Teil Folge des Handelns anscheinend Blinder ist, wie Žižek meint, sondern Ergebnis ganz bewußten Handelns und Inkaufnehmens der Folgen für die Gesellschaft. Ein Beleg dafür ist, was der ehemalige Notenbanker Sir Alan Budd 2003 schrieb: "Viele „haben nie (…) geglaubt, dass man mit Monetarismus die Inflation bekämpfen kann. Allerdings erkannten sie, dass [der Monetarismus] sehr hilfreich dabei sein kann, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. […] Hier wurde – in marxistischer Terminologie ausgedrückt – eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte, und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren." (The New Statesman, 13. Januar 2003, S. 21) Albrecht Müller hatte vor einiger Zeit auf den NachDenkSeiten darauf aufmerksam gemacht. Es ließen sich noch mehr solcher Belege von denjenigen anfügen, die von der Entwicklung, die Žižek beschreibt, profitieren, was aber hier nicht erfolgen soll.

Zur Illustration diese Meldung vom 25.1.13: "Sie brachen die Tore auf und führten mehrere Menschen ab: Griechische Polizisten haben ein von streikenden Arbeitern besetztes U-Bahn-Depot gestürmt. Zuvor hatte die Regierung per Notstandsgesetz mit Festnahmen gedroht." (SPIEGEL online, 25.1.2013) Hier noch der Link zur Reuters-Originalmeldung, die bisher von keinem Medium übernommen wurde, bis auf SPIEGEL online und einen Radiosender, soweit ich das überblicke. Kommt aber sicher noch ... Oder interessiert das niemand?
Die junge Welt macht noch deutlicher, warum die Vorgänge in Griechenland exemplarisch sind: "Am Donnerstag abend hatte die Koalition aus konservativer ND, sozialdemokratischer PASOK und der »Demokratischen Linken« (DIMAR) einen Erlaß verkündet, der die Beschäftigten zur Wiederaufnahme der Arbeit verpflichtet. Andernfalls drohen ihnen Haftstrafen und die Entlassung. Die Regierung stützt sich Medienberichten zufolge auf ein Gesetz, das noch aus der Spätphase der griechischen Militärdiktatur (1967–1974) stammt. Darin wird die Zwangsrekrutierung von Beschäftigten gestattet, wenn das wirtschaftliche oder soziale Leben wegen natürlicher oder anderer Gründe erschüttert wird." (junge Welt, 26.1.13)
Dazu ein kleiner Exkurs zum Thema Notstandsgesetze:
- Ägyptischer Militärrat hebt Notstandsgesetze teilweise auf (24. Januar 2012)
- Assad verspricht Aufhebung der Notstandsgesetze (16. April 2011)
Und wie ist das mit den 1968 verabschiedeten bundesdeutschen Notstandsgesetzen? "Die einst umstrittenen Gesetze sind noch heute in Kraft. Im Verteidigungsfall, bei inneren Unruhen und Naturkatastrophen weiten sie die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie dessen Weisungsbefugnisse gegenüber den Bundesländern aus. Zudem erlauben die Notstandsgesetze die Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Bei Unruhen im Inneren ist auch der Einsatz der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes zulässig." (Quelle: WDR)

(aktualisiert am 26.1.13, 13.21 Uhr)

Nachtrag vom 29.1.2013: Es ist nicht nur ein Ereignis in Folge der Finanzkrise. Die Demokratie steht dem Profit schon lang im Weg: Auf Arte war das am heutigen 29. Januar 2013 zu sehen in der Dokumentation über das "Gasfieber". Äußerst interessant wie das zu sehen ist, wie die großen Gaskonzerne ihre Profitinteressen durchsetzen, nicht nur in den USA. Das Prinzip ist immer das gleiche: Zuerst der Profit, dann irgendwann alles andere.

Mittwoch, 23. Januar 2013

Die mehr haben können mehr lernen

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt in seinem neuesten Wochenbericht fest: Die Bildungschancen hängen vom Einkommen ab. Das ist an sich nichts Neues, aber es kann nicht oft genug wiederholt und belegt werden, dass die Mär, dass nur, wer ordentlich lernt, auch was wird, eben eine Mär ist.
"Persönliche Einkommenssituation und Bildungserfolg sind in Deutschland in hohem Maße vorgegeben", heißt es in der DIW-Pressemitteilunhg vom 23. Januar 2013. Die Chancengleichheit sei auch im internationalen Vergleich gering. "Das Elternhaus hat in Deutschland einen erheblichen Einfluss auf den beruflichen Erfolg der Menschen" so das DIW. „Der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, ist nicht nur in den USA eine Legende, sondern auch in Deutschland“, sagt Daniel Schnitzlein, Autor der Studie, laut der Pressemitteilung.
Eine Hauptursache für diese Entwicklung sei die Ausgestaltung des Bildungssystems.  Die Daten für die Studie zeigen: "Etwa  40 Prozent der Ungleichheit beim individuellen Arbeitseinkommen lassen sich durch den Familienhintergrund erklären, beim Bildungserfolg sind es sogar über 50 Prozent. Damit ist der berufliche Erfolg des Einzelnen in hohem Maße durch das Elternhaus vorgeprägt." Das Fazit: "Das bedeutet, dass in Deutschland kaum  Chancengleichheit besteht." Im internationalen Vergleich stehe Deutschland auf einer Stufe mit den USA, die sich am unteren Ende der Skala für Chancengleichheit befinde.
"Besonders groß ist der Einfluss des familiären Hintergrunds bei Männern: Beim individuellen Arbeitseinkommen erklärt er 43 Prozent der Ungleichheit, beim Familieneinkommen 47 Prozent und bei den Stundenlöhnen knapp 46 Prozent. Bei den Frauen liegen die Werte mit 39 Prozent beim individuellen Arbeitseinkommen und 32 Prozent beim Familieneinkommen etwas niedriger, bei den Stundenlöhnen ist die Ungleichheit zu einem ebenso hohen Anteil wie bei Männern durch den Familienhintergrund zu erklären. Für den Bildungserfolg ist dieser sogar noch höher: 66 Prozent der Ungleichheit gehen bei den Männern auf familiäre Hintergründe zurück, bei den Frauen sind es 56 Prozent. Wie hoch diese Zahlen sind, verdeutlicht ein Vergleich: Der DIW-Studie zufolge hängt der Bildungserfolg in Deutschland sogar stärker mit dem Familienhintergrund zusammen als die größtenteils genetisch bedingte Körpergröße."
Die Ursachen für die starken internationalen Unterschiede lassen sich laut DIW mit den aktuellen Analysemethoden nicht zweifelsfrei benennen. Eine Studie auf Grundlage dänischer Daten habe jedoch jüngst ergeben, dass die Einflüsse des Familienhintergrunds in unterschiedlichen Migrantengruppen ähnlich gering sind wie bei Dänen ohne Migrationshintergrund, was weniger für kulturelle Gründe als vielmehr für institutionelle Gründe wie die Ausgestaltung des Bildungssystems als Bedingung für Chancengleichheit spreche.
Mehr kann beim DIW hier nachgelesen werden.
Zur Chancengleichheit siehe auch folgende Texte von mir:
"Die mehr haben leben länger"
"Wenige haben immer mehr"
"Immer mehr haben immer weniger"
"Immer mehr arbeiten für immer weniger"

"Der Westen versteht den Konflikt nicht"

Der Krieg in und gegen Syrien, gefördert von den führenden westlichen Staaten und ihren arabischen Verbündeten, geht weiter. Ein Ende ist immer noch nicht in Sicht.
Das Thema habe ich nicht aus den Augen verloren. Und so sei auf ein interessantes Interview hingewisen, dass Dr. Behrooz Abdolvand vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin dem Portal euractiv.de gab. Der Wissenschaftler hat laut dem Beitrag eine Studie zum Konflikt in Syrien vorgestellt, die er zusammen mit David Ramin Jalilvand erstellt hat.
Hier ein Auszug:
"EurActiv.de: Warum ist der syrische Präsident Baschar al-Assad nicht schon längst gestürzt worden?
ABDOLVAND: Es scheint so, als hätten die Regierungstruppen in der Auseinandersetzung mit den Aufständischen die Oberhand gewonnen.
EurActiv.de: Woraus schließen Sie das?
ABDOLVAND: Hierfür sprechen einige Indizien: Die Freie Syrische Armee (FSA) musste sich offenbar aus der zweitgrößten Stadt des Landes, Aleppo, und aus ihrer Hochburg Homs weitestgehend zurückziehen. Das israelische Nachrichtenportal Debka berichtet, die Zahl der Rebellen sei zu niedrig, um Assad besiegen zu können. Tatsächlich haben von 630.000 Soldaten bis jetzt nur 50.000 Soldaten – hauptsächlich sunnitischen Glaubens – das Lager von Assad verlassen, um sich der Opposition anzuschließen. Hingegen haben erst vor kurzem 20.000 neue Soldaten den Militärdienst für Assad angetreten. Vieles deutet darauf hin, dass es um die Lage der Rebellen schlecht bestellt ist.
EurActiv.de: Wie konnte es trotz massiver Unterstützung der Aufständischen aus Europa und den USA sowie des Golf-Kooperationsrats (GCC) und der Türkei dazu kommen?
ABDOLVAND: Nachdem im Zuge der NATO- beziehungsweise US-Einsätze auf dem Balkan, in Afghanistan und im Irak die Gegebenheiten vor Ort grundlegend missverstanden wurden, wiederholt sich in Syrien offenbar die Geschichte. Der Westen versteht den Konflikt nicht.
EurActiv.de: Was verstehen wir denn nicht?
ABDOLVAND: Hafez al-Assad, Vater des heutigen Präsidenten, gelang es, den ethnisch-religiösen Mix des Landes zu seinen Gunsten zu nutzen. So steht das System von Vater und Sohn Assad für eine Balance zwischen sunnitischer Bevölkerungsmehrheit und der Vielzahl von Minderheiten einschließlich Christen, Kurden, Alawiten, Schiiten, Jesiden, Juden und Drusen.
Darüber hinaus gehört ein nicht unbedeutender Teil der etwa 60 Prozent sunnitisch-arabischen Syrer zu Anhängern eines säkularen Staates, die hauptsächlich in der Bath-Partei organisiert sind, die sich als säkulare arabische Nationalisten sehen und nicht als Anhänger eines islamischen Staates und die in diesem Sinne von der Kooperation mit dem Assad-System profitieren.
Dies erklärt, warum die Aufständischen in Syrien – im Gegensatz zu den Revolutionären Ägyptens und Tunesiens – nicht ausreichend Unterstützung aus den Reihen der Bevölkerung erhalten, um Assads Regime zu stürzen. Die Visionen von "Freier Syrischer Armee" (FSA), Muslimbrüdern und al-Qaida finden nicht den gewünschten Widerhall bei der breiten Masse der Syrer. ..."

Das vollständige Interview mit Behrooz Abdolvand ist hier nachzulesen.
Den Hinweis auf das Interview fand ich hier.

Interessantes zum Krieg in Mali

Als Nachtrag zu meinem Beitrag "Frankreichs Rohstoffsicherungskrieg" vom 15. Januar der Hinweis auf drei interessante Beiträge zum Thema:
Christoph Marischka beschäftigt sich in einem Text auf der Homepage der Informationstelle Militarisierung (IMI) e.V. mit der französischen Intervention in Mali: "Regime Change mal anders". Darin sind interessante Fakten zu finden, die bei den Konzernmedien ausgelassen werden, u.a.: "... Es besteht große Einigkeit in der Bevölkerung des Süden Malis (und unter den Flüchtlingen aus dem Norden), dass der Norden zurückerobert werden müsse. Wie das jedoch geschehen soll und welche Rolle dabei Drittstaaten spielen werden, ist sehr umstritten – und wirkt sich massiv auf die Bildung einer neuen Regierung aus. So gibt es einerseits den Prozess zur Bildung einer Übergangsregierung, der überwiegend von französischen Klienten innerhalb der ECOWAS vorangetrieben wird und den Übergangspräsidenten Dioncounda Traoré und Cheick Modibo Diarra als Übergangspremier hervorbrachten. Beide wurden international anerkannt und forderten ECOWAS und EU zu exakt der Form von Intervention auf, wie diese von Seiten der EU längst vorbereitet war, genossen jedoch im Süden Malis weder ausreichend Legitimität noch übten sie dort de facto die Macht aus. ..."
Marischka stellt zum Schluss klar: "Der französische Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, kündigte an, der Einsatz werde „mehrere Wochen“ dauern mit dem Ziel „diese Terroristen aus[zu]löschen“. Eine solche Entscheidung fällt nicht über Nacht. Trotzdem haben fast alle westlichen Staaten ihre Unterstützung für den Einsatz bekundet und militärische Hilfe in Aussicht gestellt. Dazu gehört auch die Bundesregierung. Die Bedingung, die der deutsche Verteidigungsminister für einen Einsatz der Bundeswehr formuliert hatte, nämlich den vermeintlichen „politischen Konsens über den Einfluss ausländischer Staaten, insbesondere auch Ausbildungssoldaten“ wurde durch die französische Militärintervention zunächst hergestellt. Er wird bald wieder brechen, doch bis dahin liegt absehbar ein Mandat des Sicherheitsrates vor und dann ist die Meinung der Bevölkerung ohnehin nicht mehr relevant – und für 'concertations nationales' fehlen dann erst recht die Voraussetzungen."
IMI bietet in einem Dossier Hintergrundinformationen zur Intervention in Mali.
Ein anderer interessanter Text erschien bei Telepolis und stammt von Bernhard Schmid: "Doppelte Mission in Mali". Der Autor versucht aufzuklären, warum Frankreich "seit dem 11. Januar 2013 ... im Rahmen der 'Opération Serval' - benannt nach einer Savannenkatze, die ansonsten dafür bekannt ist, dass sie alle zwei Minuten uriniert, um ihr gigantisches Territorium zu markieren - Luftangriffe gegen die Islamisten im Zentrum Malis" durchführt. "Gegen eine spontane Entscheidung zum Eingreifen in die Kämpfe, die ab dem 9. Januar stattfanden, spricht ein anderes Element. Algerien hat für die militärische Intervention Frankreichs im südlichen Nachbarland seinen Luftraum geöffnet. Grünes Licht dafür hatte François Hollande aller Wahrscheinlichkeit nach bei seinem Staatsbesuch in Algier am 19. und 20. Dezember 2012 erhalten.
Das algerische Gesetzt schreibt der Regierung jedoch in solchen Fällen vor, eine Frist von drei Wochen zwischen ihrer Zustimmungserklärung und der tatsächlichen Öffnung des Luftraums zu wahren. Zählt man 21 Tage ab dem Staatsbesuch Hollandes, so kommt man auf den tatsächlichen Beginn der Intervention. Dies spricht aber dagegen, dass er relativ kurzfristig entschieden wurde. ..."
Schmid schreibt: "Selbstverständlich geht es Frankreich dabei auch darum, seine Rohstoffinteressen in der Region und seine Stellung als führende neokoloniale Macht in Afrika insgesamt zu behaupten." Er meint aber auch, dass die Sicherung der Rohstoffquellen "keine primäre Rolle für das französische militärische Eingreifen" spielen würde "und entsprechende Erklärungen gar zu simpel" seien. Für die Intervention gebe es stattdessen auch "politische Erwägungen ..., in Gestalt der Befürchtung, die Ausbreitung der in Nordmali eingesickerten - und mit Waffen der früheren libyschen Diktatur ausgestatteten - dschihadistischen Gruppen könnten einen neuen Krisenherd in der Sahelzone schaffen"
Da ist es wieder, das offizielle Argument, in Mali müssten islamistische Terroristen gestoppt werden, die am Ende gar Europa bedrohen, wie die westlichen Kriegstreiber behaupten. Diese wollen sich natürlich ihre neokolonialistischen Einflusszonen auch in Afrika, die etwas mit handfesten wirtschaftlichen Interessen zu tun haben, nicht von irgendwelchen Bewaffneten, die diesmal "Terroristen" sind und egal worauf diese sich berufen, gefährden lassen. Gäbe es die wirtschaftlichen Interessen in der Region nicht, gäbe es auch keine von Frankreich angeführte westliche Intervention. Dann wäre der Konflikt in Mali uninteressant wie manch anderer Konflikt in der Welt.
Schmids Überblick über Gründe, Motive und Stimmungen vor Ort ist nichtsdestotrotz interessant. Dass ein "sozialistischer Präsident" Frankreich in den Krieg führt, sagt auch etwas darüber aus, was von den sogenannten Sozialisten als angeblicher Alternative zu halten ist.
Die Interessen und Akteure im Hintergrund des Konfliktes und der Intervention beschreibt Tony Cartaluci in einem Beitrag bei globalresearch.ca, den die Luftpost-Redaktion ins Deutsche übersetzt hat. "Mit einer schnell in Umlauf gebrachten Flut von Zeitungsberichten wurde das militärische Eingreifen Frankreichs in den Konflikt im afrikanischen Staat Mali gerechtfertigt. Mit dem Artikel "The Crisis in Mali: Will French Intervention Stop the Islamist Advance?" [Die Krise in Mali: Wird die französische Intervention den Vormarsch der Islamisten stoppen? ...] greift das Magazin TIME ... – wohl wissend, dass die bewährten Tricks die besten Tricks sind – wieder einmal den schon bis zum Erbrechen bemühten "Krieg gegen den Terror" auf. TIME behauptet, mit der Intervention müssten "islamistische Terroristen" daran gehindert werden, erst Afrika und dann ganz Europa zu überfluten. ...
TIME verschweigt seinen Lesern allerdings, dass Al-Qaeda in Islamic Maghreb / AQIM eng mit der Libyan Islamic Fighting Group / LIFG (der Libyschen Islamischen Kampfgruppe) liiert ist. [Die LIFG wurde bei der trickreich eingefädelten NATO-Invasion in Libyen im Jahr 2011 vor allem von Frankreich mit Waffen, Ausbildern, Spezialtruppen und sogar mit Flugzeugen unterstützt, damit sie die libysche Regierung stürzen konnte.] ..."
Für Cartalucci ist klar: "Es ist kein Zufall, dass sich der in Libyen nur noch schwelende Konflikt jetzt auch auf Mali ausgeweitet hat. Das ist ein weiterer Teilschritt des beabsichtigten geopolitischen Rückbaus (Afrikas), der mit dem Umsturz in Libyen begann und mit Hilfe von der NATO geförderter, schwer bewaffneter Terroristen auch auf andere Staaten wie Mali, Algerien und Syrien überspringen soll." Zu den Islamisten, die dem Westen bzw. dessen herrschenden Kreisen mehr nutzen als schaden, meint der Autor: "Man kann es als einen Anfall von geopolitischer Schizophrenie bezeichnen, dass er Terroristen einerseits als casus belli (Kriegsgrund) und als Vorwand für Überfälle auf andere Länder benutzt, und sie anderseits als unerschöpfliche Söldnertruppe für sich kämpfen lässt."

(aktualisierter Beitrag - 23.1.13, 21.50 Uhr)

Nachtrag vom 24.1.13, 15.39 Uhr:
"US-Außenministerin Hillary Clinton hat zugegeben, dass die Krise in Mali eine Folge des Umsturzes in Libyen und der Ermordung von Machthaber Muammar al-Gaddafi ist." (RIA Novosti, 23.1.13)
"Die Putschisten und Touareg-Rebellen in Mali, deren Handlungen zur Besetzung des nördlichen Teils des Landes durch Islamisten geführt hatten, sind einem Zeitungsbericht zufolge von US-Instrukteuren im Kampf gegen den Terrorismus geschult worden." (RIA Novosti, 14.1.13) siehe auch hier: "USA bildeten Putsch-Anführer aus"
"Iyad Ag Ghali befehligt 1500 islamistische Kämpfer in Mali - dabei galt er lange als verlässlicher Partner der Bundesregierung. 2003 verhandelte er auf deren Bitte mit algerischen Geiselnehmern. Ein ehemaliger deutscher Spitzenbeamter sagte dem SPIEGEL, Ag Ghali sei "unser Mann" gewesen." (SPIEGEL online, 20.1.13)
Sie wissen nicht nur, was sie tun, sondern auch genau, mit wem sie es zu tun haben und wer ihnen mal zu Diensten sein darf und beim nächsten Mal zum "Terroristen" erklärt wird, gegen den Krieg geführt werden muss ...

Und das gehört auch dazu und ist nicht überraschend: "Eine französische Elitetruppe ist schon seit Monaten in Mali. Die "Forces Spéciales" wurden bereits im Herbst 2012 still und heimlich stationiert." (SPIEGEL online, 24.1.13)
Zu den französischen Elitetruppen und ihren Aufgaben sei noch die Agentur Reuters vom 24.1.13 zitiert: "Frankreich schickte unterdessen nach Angaben aus Militärkreisen Elitetruppen in Malis Nachbarland Niger, um dort die Uran-Abbaustätten des Staatskonzern Areva zu sichern. Areva baut in Niger seit über 50 Jahren Uran für die französischen Atomkraftwerke ab, die drei Viertel des Stroms in Frankreich liefern."

Dienstag, 15. Januar 2013

Frankreichs Rohstoffsicherungskrieg

Frankreich führt nun richtig Krieg in seiner ehemaligen Kolonie Mali. Sicherheit und Demokratie sind ein weiteres Mal Vorwand für simplen Neokolonialismus.
So sehr ich die Mainstream-Medien kritisiere, so gern zitiere ich sie dann, wenn das, was sie schreiben oder senden, für sich spricht. Und so muss ich  wiedergeben, was Spiegel online vor drei Stunden meldete: "Erst wirkte es wie eine kurze Intervention, jetzt verlegt Frankreich 2500 Soldaten nach Mali. Präsident Hollande ruft weitreichende Ziele aus: ein Ende der Terror-Herrschaft im Norden Malis und Demokratie für das ganze Land." Natürlich bleibt sich das angebliche investigativste Medium treu und belegt das Gegenteil seines Anspruches, in dem es den französischen Neokolonialkriegern erklärt: "Bis dahin ist es ein langer Weg." Unkritisch wird Frankreichs Präsident François Hollande zitiert: "Bevor wir wieder gehen und die Mission beenden, muss Mali sicher sein, eine legitime Ordnung und einen Wahlprozess haben, und die Terroristen dürfen die Integrität des Territoriums nicht mehr gefährden." Es werden keine Fragen zu den tatsächlichen Beweggründen der Neokolonialmacht gestellt, nur solche von der ganz besorgten Art wie, ob denn die französische Regierung auch die richtige Militärstrategie gewählt hat.
Wer Hintergründe erfahren will muss u.a. ein anderes Medium lesen, das zwar auch zum Mainstream gehört, aber da gibt es immer wieder Überraschungen. So ist bei der Wirtschaftswoche online von Frank Doll Folgendes zu lesen: "Den Militäreinsatz in Mali mit Sicherheitsinteressen zu begründen ist zynisch. Tief im Herzen Afrikas will Frankreichs Staatspräsident Hollande die Versorgung seines Landes mit dem Atomkraftbrennstoff Uran sichern. Geht die Operation schief, ist seine Regierung am Ende." Da bleibt mir nur zu sagen: Es geht doch, Kollegen! Und weil es so gut ist, sei noch ein bisschen aus der Wirtschaftswoche zitiert: "Die einzigen bekannten und strategisch wichtigen europäischen Interessen in der Region sind die Uran- und Ölvorkommen in Mali und die französischen Uranminen im angrenzenden Niger. Frankreich hängt als Atommacht und Atomstromland stark von der Versorgung mit Uran ab. Ein Drittel seines Uranbedarfs bezieht Frankreich aus dem Niger.  Um die weitere Destabilisierung des Landes zu verhindern greift Frankreich jetzt in Mali ein." Leider ist nicht zu hoffen, dass das Wirtschaftsmagazin nun dauerhaft das neue investigative Magazin ist, das der Spiegel sein will.
Und was macht die Bundesregierung, wenn in Paris zum Krieg gerüstet wird: Sie bietet logistische Unterstützung an, ganz wie es sich gehört. Über den längst vorhandenen deutschen Anteil an dem Konflikt in Mali hat Christoph Wackernagel auf hintergrund.de berichtet: "Umso fataler sind und waren die internationalen Bestrebungen, die politisch unverantwortliche und für Afrikas Zusammenhalt kontraproduktive Forderung der 'nationalen Unabhängigkeit der Tuareg' zu unterstützen. Als ein Beispiel sei hier nur die deutsche 'Gesellschaft für technische Zusammenarbeit', GTZ (heute: GIZ) genannt, die dort mit einem milliardenschweren Programm undurchsichtige Politik machte, deren Mitverantwortlichkeit für die auch dadurch möglich gemachte Katastrophe heute nicht mehr geleugnet werden kann.
Dies ist besonders bitter, weil gerade Mali innerhalb Westafrikas eine führende Rolle und die höchst entwickelte Kultur der Verständigung unter den Ethnien und der Überwindung althergebrachter Stammeskonflikte entwickelt und bis zur Eskalation Anfang dieses Jahres auch erfolgreich betrieben hatte. ..." Auch diesmal bin ich nicht überrascht von dem Geschehen, nur ein weiteres Mal enttäuscht, dass niemand die westlichen Kriegstreiber stoppen kann und will.

Samstag, 12. Januar 2013

Wenn die Alawiten nicht wären ...

Freitag-Redakteur Lutz Herden hat in der Zweiwochenschrift Ossietzky die Legende, dass allein die Alawiten in Syrien herrschen, genährt.
In dem Beitrag "Wenn der Vorhang langsam fällt" in Ossietzky 2/2013 setzt sich der Autor mit der Tatsache auseinander, dass der immer wieder vorhergesagte Sturz des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad immer noch nicht erfolgt ist. Käme es dazu, so Herden, "wäre der alawitischen Staatsklasse das Rückgrat gebrochen und die Schlacht um Syrien entschieden". Beim Rückblick auf die Zeit des Machtantritts Assads im Jahr 2000 schreibt er, dass es bei den damals angekündigten Reformen nur darum gegangen sei, "Einheit und Handlungsvermögen der alawitischen Führungsclans zu bewahren". Des Präsidenten Reformwille sei "immer dann versandet, wenn der Machterhalt gefährdet und der Korpsgeist der alawitischen Elite nicht gebühren gewürdigt schien". Die treuen "Kader aus den Hochburgen der Alawiten bei Latakia und Tartus" hätten bisher verhindern können, dass der Wunsch der führenden westlichen Politiker und ihrer arabischen Verbündeten sowie der von ihnen unterstützten Islamisten nach einem Sturz Assads erfüllt wird.
Ich gestehe, dass ich etwas verwundert war, als ich diesen Text von Herden las, von jenem Freitag-Redakteur, dessen Beiträge meist differenzierend Hintergründe und Zusammenhänge beschreiben. Meinem Eindruck nach zeigte gerade er, dass es in Syrien um mehr als die Herrschaft einer Person und eines hinter dieser stehenden Clans geht und welchen Zielen es dient, wenn Assad als "Schlächter von Damaskus" dämonisiert wird. Habe ich mich nur geirrt und Herden bisher falsch verstanden?
Ich hätte schon erwartet, dass der Autor nicht so pauschal die Legende füttert, dass "die Alawiten" in Syrien herrschen und allein Assad an der Macht halten. Das war schon unter dem Präsidentenvater Hafez al-Assad nicht so: "Auch die Alawiten waren nicht kollektiv privilegiert, sie erhielten auch keine besondere wirtschaftliche Förderung. Allein die Loyalität zählte." Das schrieb u.a. Norbert Mattes in Heft 70 der Zeitschrift inamo. Ein weiteres Beispiel einer differenzierten Sicht lieferte die Website qantara.de am 22.11.2012 mit einem Beitrag über die "verzerrten Bilder" der Medien: "Brooke Anderson, die als Journalistin in Beirut arbeitet, sieht in dieser Überbetonung der Unterschiede zwischen Alawiten, Christen und Sunniten ein großes Problem. 'Ich verstehe, dass es manchmal notwendig ist, den religiösen und ethnischen Hintergrund der Menschen thematisch einzuordnen, jedoch nicht immer!', meint sie im Interview mit Qantara.de. 'Denn eine solche Berichterstattung erweckt den Anschein, als kämpften aufrichtige Sunniten gegen alawitische Bösewichte, während die Christen apathisch zusehen. Dies ist eine unangemessene Sicht auf jede dieser Gruppierungen.' Tatsächlich sind viele Alawiten gegen Assad, ebenso wie viele Sunniten ihn unterstützen."
Im Januar-Heft der Blätter für deutsche und internationale Politik hat Florian Bernhardt einen weiteren Beitrag für einen differenzierenden Blick auf die Alawiten und ihre Rolle in Syrien veröffentlicht. Er verweist u.a. auf den "vor allem bei Islamisten und Salafisten weit verbreiteten Hass speziell auf die alawitische Volksgruppe", deren Angehörige von islamistischen Hasspredigern schon mal angedroht werde, sie zu zerstückeln und "ihr Fleisch an die Hunde  verfüttern" zu wollen. Das habe ein jahrhundertealte Tradition, stellt Bernhardt fest, und schreibt: "Die islamistische Opposition Syriens ..., allen voran die Muslimbruderschaft, betrachtet die Alawiten grundsätzlich als Ungläubige."
Dass nach der Machtübernahme durch die Baath-Partei 1963 Schlüsselpositionen in Militär, Geheimdiensten und Siehrheitsapparat zunehmend mit alawitischen Offfizieren besetzt wurden, habe Islamisten und ausländischen Beobachter "zu dem Schluss verleitet, Syrien würde von einer alawitischen Minderheit regiert, die ... die Macht in ganz Syrien übernommen hätte." Doch der alleinige Blick auf ethnische, religiöse und konfessionelle Unterschiede übersehe u.a.: "Der säkular geprägte arabische Nationalismus der Baath-Partei besaß mit seinem Versprechen von Unabhängigkeit und Gleichheit für die Angehörigen der religiösen und konfessionellen Minderheiten – wie die der Alawiten – eine beträchtliche Attraktivität." Und: Auch seine, wenn auch vagen, sozialistischen Vorstellungen übten eine gewisse Anziehungskraft aus." Bernhardt macht auch auf die sozialen Grundlagen für die neue syrische Elite aufmerksam, die zumeist der ländlichen Mittelschicht entstammte. "Dass viele von ihnen Alawiten waren, ist auf die Situation der alawitischen Siedlungsgebiete zurückzuführen und auf die durch Armut, Analphabetentum, Unterdrückung und Ausbeutung geprägten Lebensverhältnisse ihrer Bewohner", die zum Teil bis heute von den Einwohnern der Städte mit Geringschätzung betrachtet würden.
Der Vater des jetzigen syrischen Präsidenten habe zwar Schlüsselpositionen mit Familienangehörigen und Vertretern seiner alawitisch geprägten Heimatregion besetzt. Dennoch blieben "die wichtigsten Karrierevoraussetzungen ideologische Linientreue und politische Loyalität – und nicht die konfessionelle Zugehörigkeit". Trotz oder gerade deshalb haben Bernhardt zufolge vor allem die islamistischen Oppositionskräfte schon ab Mitte der 60er Jahre die antialawitischen Ressentiments mobilisiert. "Bei jeder sich bietenden Gelegenheit unterstrichen sie die Zugehörigkeit des Präsidenten und anderer wichtiger Stützen des Regimes zur 'ketzerischen Minderheit der Alawiten'." Dabei vermischen laut Bernhardt insbesondere die Muslimbrüder "historische Fakten und religiös-politische Verschwörungstheorien, die in vieler Hinsicht an antisemitische Stereotype erinnern". Die Entwicklung seit 1963 und die alawitische Dominanz in den Schlüsselpositionend des syrischen Staates würden "als Resultat einer finsteren alawitischen Verschwörung interpretiert – und nicht als das Ergebnis der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Syriens". Der Autor macht auf "eine äußerst bedrohliche Perspektive" für die alawitische und andere Minderheiten in Syrien aufmerksam, da die islamistischen Kräfte, die mit arabischer und westlicher Unterstützung gegen Assad kämpfen, "in ihrer Einstellung gegenüber der alawitischen Minderheit noch weit radikaler und kompromissloser als die im Exil sitzenden Muslimbrüder" seien.
Der Text von Bernhardt ist deutlich differenzierter als das, was Herden in seinem Beitrag in Ossietzky schreibt, zum Beispiel wenn er dort behauptet, die Zugehörigkeit und das Bekenntnis zum Korpsgeist der alawitischen Elite sei die einzige Wurzel für Baschar al-Assads Präsidentschaft. Damit bleibt er auch hinter manchem zurück, was er im Freitag selbst schon zu Syrien geschrieben hat. Ich bin gespannt darauf, was er weiter zum Thema äußert.