Nachdem ich dem zweiteiligen TV-Film "Der Turm" gesehen habe und weil am heutigen 7. Oktober 2012 vor 63 Jahren die DDR gegründet wurde, habe ich folgende Gedanken dazu aufgeschrieben:
Ich kenne das Buch (noch) nicht, auch wenn es in meinem Regal steht.
Ich fand den Film nicht schlecht, zumindest nicht so plump wie die
unsägliche Serie "Weißensee". Manches war zu platt, gerade bei den
Dialogen, in denen oft unbedingt Symbolisches über die DDR gesagt werden
musste, wie das über die nicht geweinten Tränen über die Flüchtlinge
1989, was so nur im Neuen Deutschland stand damals. Manches war passend,
manches ungenau. Mich störten u.a. nicht korrekte Details, wie in jeden Film. In
diesem war es u.a., dass Christian als Unteroffizier erst wie ein
normaler "Mot. Schütze" diente und dann gar nach dem Militärknast in
Schwedt wieder Unteroffizier war, als er "nachdienen" musste. Also wer
nach Schwedt kam, wurde zu allererst degradiert und durfte dann nur
noch Soldat sein, kam max. bis zum Gefreiten. Und Unteroffiziere, die
als normale Soldaten, als "MOSis" ihren Dienst leisten mussten, die gab
es nur beim Wachregiment Feliks Dzierzynski des MfS. Aber das sind nur
Details.
Die NVA war auch von ihrer internen Atmosphäre samt der
gegenseitigen Misshandlungen nicht besser und schlechter als jede andere
Wehrpflichtarmee dieser Welt. Das nun unbedingt als Symbol für den
bösen "Militarismus" der DDR zu nehmen, für den Kasernencharakter des
Landes, halte ich für gewagt. Aber das geht vielleicht nur solchen wie
mir so, die wie Film-Christian 1965 geboren wurden und das DDR-Land fast
25 Jahre erlebten.
Nach dem 1. Teil habe ich einem Kollegen sinngemäß gesagt: Für mich gibt es kein Besser oder Schlechter im
Rückblick und Vergleich mit heute. Ich habe das ganze pralle Leben der
DDR erlebt, samt Ja zum Sozialismus und Einstufung als "Parteifeind"
mit allen Folgen. Ich wollte nicht die DDR beseitigen, als ich mich im Herbst 1989 engagierte. Ich wollte wie manch Andere dieses Land
verändern, aber nicht einfach per Grenzöffnung in den Westen. Ich erlebe das
pralle Leben der vereinheitlichten Bundesrepublik mit allem was dazu
gehört, samt Arbeitslosigkeit und Existenzangst, Meinungsfreiheit und
"Diktatur des Profits" (Viviane Forrester). Ich habe versucht, mich zu
engagieren und das irgendwann aufgegeben, weil ich zwar sagen kann, was
ich will (auch in Grenzen), aber nichts zu sagen habe und bewirken kann,
nicht mal im Kleinen, sprich kommunalen Bereich. Mein Fazit: Es war
früher in der DDR nicht besser oder schlechter, es ist heute nicht
besser oder schlechter. Es war und ist nur anders. Aber eines sage ich
Jedem, der es hören will oder auch nicht: In der DDR hatte ich keine
Existenzangst. Da konnte ich selbst als Parteifeind, der nicht mehr
studieren durfte, mit meiner Hände Arbeit meine Familie ernähren.
Existenzangst habe ich erst nach dem Mauerfall erlebt, infolge von
Arbeitslosigkeit.
Wie auch immer. Das ist nur meine Sicht aufgrund meiner
Lebenserfahrung. Mich regen nur Pauschalurteile auf. Aber das hat wohl eben was mit dem Alter und
unterschiedlichen Erlebnissen zu tun. Passenderweise hörte ich am 4. Oktober, einen Tag nach dem 2. Teil des Filmes,
beim Frühstück im Radio eine Reportage aus dem Heute von alten Menschen, die von
der Rente nicht leben können. Ener von ihnen sagte sinngemäß ins Mikro:
Wenn Du Dir kein Buch mehr kaufen kannst, weißt Du, dass Du arm bist. Da
fragte ich mich, auf welchen Mauerfall der Mann warten muss ...
Noch
eines dazu, was mir bei dem Thema auch immer durch den Kopf geht: 1992
erlebte ich auf der Leipziger Buchmesse den polnischen Schriftsteller
Andrzej Szczypiorski, der zu den "Dissidenten" zählte. Er erzählte, wie
er nach dem er sich wieder in Polen frei bewegen durfte ab 1989, durchs
Land reiste und den Menschen von der Freiheit berichtete. Da sei ihm
oftmals von den Menschen geantwortet worden, er solle ihnen nichts von
Freiheit erzählen. Früher hätten sie gewusst, dass sie von ihrer Arbeit
leben könnten, was in der Freiheit nicht mehr der Fall sei. Da habe bei
ihm zumindest dazu geführt, dass er erkannt habe, wie relativ das mit
der Freiheit ist.
Meine Worte hier geben nur meine ganz
persönliche Sicht wieder. Und solch ein Film kann wie auch ein Buch am
Ende nur ein Teil dessen einfangen und wiedergeben, was gewesen ist,
dabei Dichtung und Wahrheit wie immer vermischt. Die DDR und die
einzelnen Geschichten aus diesem Land und diesem Leben dort sind sicher
noch nicht auserzählt.
Vielleicht ist es nach dem "Turm" und all den
Büchern von ehemaligen Funktionärs- und Bonzenkindern und Offiziers- und
Politikerbiographien Zeit für ein Buch über "Die Ebene", das ganz
normale, gewöhnliche Leben in der DDR, ohne christliche Ärzte,
diktatorische Möchtegern-Kommunisten und freiheitsliebende Kinder, die
ihre Mutter vor prügelnden Bereitschaftspoliziosten retten wollen ...
Oder wurde solch eine Geschichte schon erzählt und geschrieben?
Ja, und eigentlich wäre es auch Zeit für ein Buch, einen Film oder was
auch immer, was in der DDR-Zeit spielt, die ohne Flucht oder
Fluchtversuch auskommen ... Das darf nicht persönlich genommen werden
und ist auch so nicht gemeint. Es ist nur so, dass diese Geschichten schon so oft erzählt wurden. Die Tragik einer jeden dieser
Geschichten stelle ich nicht in Abrede.
Das scheint das Problem zu sein bei solchen Büchern und Filmen: Statt Geschichten zu erzählen, wollen bzw. sollen sie immer Geschichte machen. Was in der DDR spielt, muss heute immer
alles, die ganze Geschichte miterzählen. Die Ideologen aus dem
DDR-Kulturministerium und in der dem übergeordneten ZK-Abteilung hätten
ihre wahre Freude daran, wie konsequent die von ihnen angewandten
Prinzipien heute immer noch wirken ... Wie heißt es im Film doch so
passend: Es geht immer nur um Macht.Das eine sind die Geschichten, die die Kunst mit ihren Mitteln erzählen
kann, dass andere die individuellen Geschichten, die auch des Aufhebens
wert sind nach dem Prinzip von
Wolfgang Herzbergs Buch "So war es".
Von der ideologischen
Grundierung des Films "Der Turm" zeugen mehrere Dinge. Das geht los beim Sendetermin und endet
bei der dazugesendeten Dokumentation. Ein Beleg sind die vielen kleinen
Szenen in beiden Teilen, in denen unbedingt Symbolisches über die DDR
gesagt oder gezeigt werden musste, was nie etwas Gutes oder einfach
normal Positives war.
Mögen die Filmemacher unideologisch rangegangen sein, wie manche
meinen, so haben die Produzenten, Senderredakteure und Auftraggeber
schon dafür gesorgt, dass die "richtigen" Botschaften gezeigt und
vermittelt werden. Alles andere wäre auch verwunderlich. Das wäre ja
nicht mal in der DDR anders gelaufen ...
Es geht auch mit solchen Filmen weiter darum, die DDR zu delegitimieren, wie
Klaus Kinkel 1991 schon forderte (siehe DRiZ,Heft 1/1992,S.4), mit allen Mitteln, gerade auch denen der Kunst, um auch noch jede kleine positive Erinnerung zu erdrücken. Es geht um die
Deutungshoheit der Geschichte. Der Historiker Jörn Schütrumpf schrieb im
Weltbühne-Nachfolger
Das Blättchen:
"In der Frage der DDR-Geschichte und der DDR-Biographien sehen sich
viele Ostdeutsche schon seit Jahren in die SED-Zeiten zurückversetzt.
Sie glauben nur einem einzigen: sich selbst. Das war vor 1989 nicht
anders."
Da die passenden Zitate von Hans Ulrich Wehler und Klaus Kinkel online kaum
verfügbar sind, seien sie hier angeführt, auch damit sie nicht in
Vergessenheit geraten:
Wehler schreibt mit Verweis auf ein Zitat von Stefan Heym von dem
"Faktum: Die kurzlebige DDR, sie war nur 'eine Fußnote der
Weltgeschichte'." (Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 6, S. 361)
Klaus Kinkel sagte auf dem 15. Deutschen Richtertag am 23.
September 1991 in Köln: "Wir hatten das Glück und die Chance, nach 1945
unser Land wirtschaftlich, den Rechtsstaat in Freiheit aufbauen zu
können.
Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und
Staatsanwälte bei dem was noch auf uns zukommt, eine ganz besondere
Aufgabe. Es wird sehr darauf ankommen, wie die in allen Rechtsbereichen
auf die Gerichte zukommenden Fragen behandelt werden, ob es vor allem
auch gelingen wird, die für die Einheit so wichtige Akzeptanz der
gerichtlichen Entscheidungen bei den Menschen zu erreichen. Davon hängt
ab, ob der Rechtsstaat in den Augen der Bevölkerung in der Lage ist, mit
dem fertig zu werden, was uns das vierzigjährige Unrechtsregime in der
früheren DDR hinterlassen hat. Und in manchem müssen wir sehr aufpassen,
daß uns nicht wieder später gesagt werden muß, wir hätten verdrängt,
versagt, zu spät gehandelt. Ich weiß sehr wohl, daß die Gerichte nicht
allein leisten können, was aufzuarbeiten ist. Aber einen wesentlichen
Teil müssen Sie leisten, alternativlos. Ich baue auf die deutsche
Justiz. Es muß gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum
bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung,
angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet
hat, während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen
Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und
schrecklich war wie das faschistische Deutschland, das man bekämpfte und
— zu Recht — nie mehr wieder entstehen lassen wollte.
Es muß
gelingen, auch die schreckliche, STASI-Vergangenheit zu
entmystifizieren, um die Menschen, angstfrei zu machen.“ (Deutsche
Richterzeitung, Heft 1/1992, S. 4)
Mit Blick auf Wehler, Kinkel und Co. muss ich noch hinzufügen: Was war muss von dem, das es ablöst, immer schlecht gemacht
werden, im Rückblick auch verschlimmert werden, damit auch noch jede
gute Erinnerung an das Gewesene verblasst. Der Fall DDR zeigt, dass
dabei aber nicht immer mit gleichem Maß gemessen wird: "In den frühen
Jahren der Bundesrepublik war also das Parteibuch der NSDAP geradezu
Voraussetzung für den Einstieg in den Öffentlichen Dienst." das stellt
der Strafrechtler Ingo Müller in einem Gespräch fest, das die
Zeitschrift
konkret im Heft 6/12 abgedruckt hat. Müller stellt
auch fest, "daß es Anfang der fünfziger jahre zu einer regelrechten
Renazifizierung kam". Der Frieden mit den Nazi-Tätern sei auf dem Rücken
der Opfer geschlossen worden. Mit der DDR wird anders verfahren. Dafür
sorgt schon der weiter wirkende Antikommunismus in der Bundesrepublik,
der laut Müller "der gleiche wie im 'Dritten Reich'" war ..."
Und noch etwas sei grundsätzlicherweise zum Thema hinzugefügt: Fakt
ist, der DDR wird von der herrschenden Klasse der Bundesrepublik ein
"Verbrechen" für alle Zeiten übelgenommen. Sie hat bzw. mit ihr wurden
die Eigentumsverhältnisse auf deutschem Boden für rund 40 Jahre
grundlegend verändert. Das hatten sich nicht einmal die deutschen
Faschisten getraut. Dafür wird die DDR weiter beschimpft, verleumdet,
wird ihre Realität schwarz-weiß gesehen und dargestellt.
Lothar de Maiziere erklärte am 3. August 2008 dem Tagesspiegel:
"Es entsteht immer dieses Schwarz- Weiß-Schema. Es gab in der DDR
vielleicht zwei Prozent Opfer und vielleicht drei Prozent Täter. Und 95
Prozent waren Volk. Die wollten auch gar nichts anderes sein, wollten
für sich und ihre Familie das Beste aus ihrem Leben machen. Im
Nachhinein aber wird die DDR-Bevölkerung eingeteilt in Täter und Opfer.
Nun müssen die Leute alle sehen, wie sie auf das Opfer-Ufer kommen, weil
sie sonst alle zu den Tätern gerechnet werden. Sie müssen ihre
Widerstandsgeschichten erzählen und wie oft sie die Faust in der
Hosentasche geballt haben. Aber sie waren weder das eine noch das
andere."
Zu Schluss noch ein
passendes Zitat zu einem interessanten Buch, nämlich von Detlef
Nakath/Gerd-Rüdiger Stephan: "Countdown zur deutschen Einheit - Eine
dokumentierte Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen 1987-1990",
das "im allgemeinen mit Nichtachtung gestraft" wurde:
"Das hat natürlich seinen Grund, denn die aus dem Archiv der SED und
dem der DDR-Regierung entnommenen Dokumente zeichnen leidenschaftslos
ein Bild von der anfänglichen schmeichelnden Anbiederung bei den
DDR-Gewaltigen (wo u. a. der später so verteufelte OibE
Schalck-Golodkowski vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten
Späth über CDU-interne Machtkämpfe informiert wurde / Dok. 34 / ) bis zu
der endlichen Siegermentalität selbst gegenüber dem frei gewählten
DDR-Ministerpräsidenten de Maizière (Kohl an diesen am 31. 5. 90:
„Schließlich möchte ich daran erinnern, daß wir beide abgesprochen
hatten ...“ / Dok. 71 / ). In vier Kapiteln (1987 bis 1988: Vorbereitung
auf das Ungewisse; Frühjahr bis Herbst 1989: Krise ohne Ausweg; Herbst
1989 bis Frühjahr 1990: „Deutschland, einig Vaterland“; Frühjahr bis
Herbst 1990: Eilmarsch zur Einheit. Zu jedem Kapitel gibt es vorweg
einen sachlich-nüchternen Kommentar) präsentieren die Herausgeber
insgesamt 90 Dokumente, bei deren Studium man recht gut versteht,
weshalb die DDR grundsätzlich - wie es Kinkel 1991 unverblümt ausdrückte
- „delegitimiert“ werden muß: Wenn man es nicht mit einem
Völkerrechtssubjekt zu tun hatte, dann war ihm gegenüber natürlich in
politischen Verhandlungen und Absprachen jeder Lug und Trug ebenso wie
jeder Wortbruch gerechtfertigt. So äußerte Genscher z. B. in einem
Gespräch mit dem prominenten ZK-Mitglied Otto Reinhold am 26. 8. 1988 in
seinem Bonner Ministerbüro jenem gegenüber, daß er im Gegensatz zu
solchen westlichen Politikern und Vordenkern, die sich von einer
Destabilisierung der sozialistischen Länder Vorteile für den Westen
erhofften, persönlich der Ansicht sei, Stabilität und positive
wirtschaftliche Entwicklung im Realsozialismus brächten viel bessere
Voraussetzungen „für ernsthafte Schritte auf dem Weg zu einem
europäischen Haus“ / Dok. 19 / ... - eine Ansicht, die er dann ein Jahr
später erfolgreich zu verdrängen vermochte. Beispiele solcher Art bringt
die Dokumentenauswahl zuhauf, und es lohnt sich, sie zur Kenntnis zu
nehmen. Aus deren Fülle soll noch eines herausgehoben werden: Als Modrow
bei seinem Regierungsbesuch in Bonn am 13./14. 2. 1990 dem
Bundeskanzler in einem Gespräch unter vier Augen nahelegte, bei der
absehbaren Vereinigung beider deutscher Staaten mit Bedacht vorzugehen;
es könne sich nicht um einen Anschluß der DDR an die BRD handeln; die
DDR habe schließlich Wesentliches in den einheitlichen Staat
einzubringen - da stimmte Kohl dem ausdrücklich zu: Er wende sich gegen
einen Anschluß der DDR, 40 Jahre DDR seien eine Realität, es gehe um
gegenseitige Rücksichtnahme, man müsse vernünftig aufeinanderzugehen!!! /
Dok. 63 /." (
Quelle)